Fell der Tibetantilopen Feinste Wolle, blutiges Geschäft
Die Wolle der Tibetantilope gilt als die feinste der Welt. Der Handel mit ihr ist streng verboten, weil für die Produktion viele Tiere sterben müssen. In Indien werden Schals dennoch unter dem Ladentisch angeboten - kommen sie auch nach Deutschland?
Skukla erinnert sich noch genau an den Moment als sie vor vielen Jahren zum ersten Mal Shahtoosh zwischen ihren Händen hielt. "Es ist so leicht, dass man gar nicht merkt, dass man es trägt", sagt die ältere Dame aus Neu-Delhi. Es ist genau diese Faszination, welche Shahtoosh, die hierzulande auch als Königswolle bekannt ist, weltweit zu einem Statussymbol macht.
Doch die Herstellung ist ein brutales, blutiges Geschäft. Für einen einzigen Schal müssen vier bis fünf Tibetantilopen sterben. Die Tiere stehen seit 1979 auf der Liste des Washingtoner Artenschutzübereinkommens, ihr Handel ist strengstens verboten.
Im vergangenen Jahrhundert verschwanden laut WWF 90 Prozent aller Tibetantilopen. Ihr Bestand hat sich mittlerweile leicht erholt, was Experten auf den strengen Schutz zurückführen. Dennoch werden die Schals nach Recherchen des ARD-Studios Südasien selbst in Indiens Hauptstadt unter der Ladentheke angeboten.
So friedlich wie hier konnten die Tibetantilopen lange Zeit nicht grasen: Erst als sie unter strenge Schutzmaßnahmen gestellt wurde, erholten sich die Bestände.
Es drohen harte Strafen
Vor allem Kuwaiter, Italiener und Amerikaner würden regelmäßig nach Shahtoosh fragen, sagt Verkäufer Mohammed Iqbal Khan. Der 53-Jährige verkauft nach eigenen Aussagen nur legale Ware.
Wenn herauskäme, dass er Shahtoosh-Schals verkaufe, würde ihm eine harte Strafe drohen. Die Polizei würde ihn für fünf bis sechs Jahre ins Gefängnis stecken - ohne ihn auch nur zu befragen, sagt er.
Die Nachfrage schafft ihren Markt
Dennoch gehen viele Händler das Risiko ein. Shahtoosh sei auf dem Schwarzmarkt viel Wert, sagt Inspektor A. Pragateesh von der indischen Behörde für Bekämpfung von Wildtierkriminalität. Er ist so etwas wie die Nummer Eins der Shahtoosh-Fahnder Indiens.
Die Nachfrage der Modeindustrie auf der ganzen Welt sei groß. Es gebe also irgendwo einen Bedarf, anderswo gebe es die Tiere und dann werde wiederum woanders gewebt, sagt Pragateesh und spricht von einem "einzigartigen und interessanten Handel".
Die Rohwolle der toten Tiere wird von China nach Indien geschmuggelt und dann in der Region Kaschmir von traditionellen Webern für Kunden in aller Welt hergestellt.
Solche Schals aus der Wolle der Tibetantilope finden die Fahnder nach wie vor - wer sie besitzt oder verkauft, muss mit drakonischen Strafen rechnen.
Das Geschäft wandert ins Internet
Pragateesh schickt deshalb unter dem Namen "Operation weiches Gold" Fake-Kunden in Geschäfte oder durchforstet stundenlang die sozialen Medien. Durch die Pandemie habe sich das Geschäft ins Netz verlagert. Vor allem auf Instagram würden User mit den verbotenen Textilien prahlen.
Seine Aufgabe sei es, den digitalen Spuren zu folgen und die Orte zu identifizieren, wo mit den Schals gehandelt werde. Ein ganzes Netzwerk an Informanten berichte seiner Behörde außerdem, über welche Flughäfen die Schmuggler die Wolle aus dem Land brächten.
Sein Einsatz scheint sich auszuzahlen. Hunderte Shahtoosh-Produkte wurden in den vergangenen vier Jahren aus dem Verkehr gezogen, er selbst reiste quer durchs Land gereist um Zollbeamte zu schulen.
Auch der deutsche Zoll teilt auf Nachfrage mit, dass das Erkennen von Shahtoosh-Schals regelmäßiger Inhalt von Fortbildungsveranstaltungen sei. Laut Bundesamt für Naturschutz wurden in Deutschland seit 1996 bei der Einfuhr aus Drittländern jedoch keine Beschlagnahmungen mehr verzeichnet.
PETA äußert Zweifel
Die Tierschutzorganisation PETA hat da so ihre Zweifel. Johanna Fuoß, Fachreferentin für Bekleidung und Textil, verweist auf die Erfolgsquoten in der Schweiz. Dort werde das Handelsverbot zum Schutz der Tibet-Antilopen deutlich besser kontrolliert als in Deutschland.
Immer wieder würden auch deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger mit den illegalen Woll-Produkten erwischt, so Fuoß. Das lege nahe, dass Shahtoosh auch deutsche Grenzen passierte:
Die Tatsache, dass in Deutschland seit vielen Jahren kein Bericht mehr über die Beschlagnahmung von Shahtoosh-Produkten veröffentlicht wurde, zeigt, dass der Schutz der Antilopen beim deutschen Zoll keine ausreichende Priorität genießt.
Der deutsche Zoll sagt, seit Jahren seien keine Produkte aus der Wolle der Tibetantilope mehr gefunden worden. Tierschützer sind skeptisch.
Aufwändige Schulung
Als Grund für die mangelnden Kontrollen vieler Zollämter vermutet PETA, dass die Umsetzung des Importverbotes zu teuer und zu zeitaufwändig wäre. Die Zollbeamten müssten gut trainiert werden, um Shahtoosh mit bloßem Auge von vergleichbaren Fasern wie Kaschmir unterscheiden zu können, sagt Fuoß.
Um wirklich sicherzugehen, dass es sich um Shahtoosh handelt, ist ein Blick unter das Mikroskop sowie eine anschließende Haaranalyse im Labor nötig.
Eine Behauptung der Shahtoosh-Händler: Es würden nur noch kleine Tibetantilopen geschoren. Doch die Tiere würden das in ihren Siedlungsgebieten kaum überleben.
Viele Beschlagnahmungen in der Schweiz
In der Schweiz ist das Shahtoosh-Geschäft offenbar in den vergangenen Jahren geradezu explodiert. Vor allem der Schweizer Nobelkurort St. Moritz scheint zur Drehscheibe für die verbotene Luxusware geworden zu sein.
Laut Schweizer Zoll wurden allein im Jahr 2019 79 Schals beschlagnahmt, für die bis zu 400 Tiere sterben mussten. Dies sei allerdings nur die Spitze des Eisbergs.
Wenn Schweizer Fahnder auf der Suche nach Shahtoosh-Produkten sind, werden sie häufiger im Skiort St. Moritz fündig.
Mythen, die den Verkauf fördern
Auch heute noch ranken sich übrigens viele Gerüchte um die Produktion. Verkäufer Khan etwa sagt, die Tiere würden nicht mehr getötet, sondern lediglich geschoren. Aus der Wolle von 40 Antilopenbabys werde ein Shahtoosh-Schal hergestellt.
Inspektor Pragatheesh kann über Aussagen wie diese nur den Kopf schütteln. Da die Tiere in mehreren Tausend Metern Höhe leben, würden sie einfach jämmerlich erfrieren. Es gebe schlichtweg keinen Weg, an die Wolle zu kommen, ohne den Tieren zu schaden.