Ekrem Imamoglu (Archivbild vom 31. Oktober 2024)
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Erdogan-Konkurrent Türkische Polizei nimmt Imamoglu fest

Stand: 19.03.2025 09:06 Uhr

In der Türkei ist ein wichtiger Kontrahent von Präsident Erdogan festgenommen worden. Dem Oberbürgermeister Istanbuls, Ekrem Imamoglu, wird Korruption vorgeworfen. Auch gegen seine Unterstützer gehen die Behörden vor.

Wenige Tage vor seiner geplanten Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten ist der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu festgenommen worden. Das bestätigte die Partei CHP, die Imamoglu am Sonntag offiziell zu ihrem Kandidaten für die nächste reguläre Präsidentschaftswahl im Jahr 2028 ernennen wollte. 

Der Oberbürgermeister der größten türkischen Stadt ist ein wichtiger Kontrahent von Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Ihm werde unter anderem die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation und Korruption vorgeworfen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft. Es gehe um Aktivitäten im Zusammenhang mit Ausschreibungen der Stadtverwaltung.

Auch gegen weitere Personen werde vorgegangen, teilte die Staatsanwaltschaft gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters mit. Insgesamt handele es sich um insgesamt 100 Personen, darunter Geschäftsleute und Journalisten.

Vorwurf der Unterstützung der PKK

Es laufe zudem eine weitere Untersuchung. Imamoglu und sechs weitere Personen stünden im Verdacht, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu unterstützen, hieß es in der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft. Hintergrund sei eine Kooperation zwischen der sozialdemokratischen CHP und der pro-kurdischen Partei DEM bei den Kommunalwahlen. Dabei hatten beide Parteien zusammengearbeitet, um in Gemeinden die Mehrheit zu gewinnen. Die türkische Regierung sieht die DEM als politischen Arm der PKK. Die Partei streitet das vehement ab.

Imamoglu veröffentlichte am Morgen auf der Plattform X ein Video, in dem er davon sprach, dass Hunderte Polizisten vor seiner Haustür stünden. "Wir befinden uns im Angesicht einer großen Tyrannei", schrieb er dazu. Er werde aber nicht aufgeben.

Imamoglus Ehefrau Dilek sagte dem privaten Fernsehsender Now, noch vor Tagesanbruch seien Polizisten an ihrem Domizil aufgetaucht und hätten ihren Mann gegen 7.30 Uhr (Ortszeit) abgeführt. Ob bei der Razzia etwas beschlagnahmt wurde, ist bislang nicht bekannt.

Auch Imamoglus enger Vertrauter Murat Ongun wurde festgenommen. Dieser setzte noch während seiner Festsetzung einen Post auf der Plattform X ab. "Sie denken, sie können uns zum Schweigen bringen und uns daran hindern, Ekrem Imamoglu zu verteidigen und zu unterstützen", erklärte er und rief das türkische Volk auf, den Oberbürgermeister zu beschützen.

Straßensperren und Versammlungsverbot

Das Büro des Gouverneurs der Provinz Istanbul verhängte eine viertägige Demonstrations-, Versammlungs- und Nachrichtensperre bis Sonntag. Ausgewählte Straßen in der Innenstadt werden gesperrt, mehrere Bahnstationen sollen geschlossen werden. Begründet wurden die Maßnahmen mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Offenbar sollen Proteste verhindert werden. Das Gouverneursamt teilte mit, man wolle "mögliche Provokationen" in der Provinz unterbinden.

Nach der Festnahme von Imamoglu meldete die Internetbeobachtungsorganisation NetBlocks, dass der Zugang zu mehreren Online-Plattformen in der Türkei eingeschränkt worden sei. Dazu zählten X, YouTube, Instagram und TikTok.

Oppositionsführer bezeichnet Vorgehen als "Putschversuch"

Der Chef der Partei CHP, Özgür Özel, sprach von einem Putschversuch und einem entscheidenden Moment für die Zukunft der türkischen Demokratie. DIe CHP ist die größte Oppositionspartei in der Türkei. Das Volk solle daran gehindert werden, den nächsten Präsidenten selbst zu bestimmen. Er rief die 1,7 Millionen Parteimitglieder dazu auf, trotz der Verhaftung am Sonntag an der internen Spitzenkandidaten-Wahl der CHP teilzunehmen.

Die nächste Wahl ist zwar für 2028 geplant, doch Beobachter gehen von einer vorgezogenen Neuwahl aus.

Aberkennung des Universitätsabschlusses

Das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen Imamoglu hatte sich schon vorher angekündigt. Gestern war bekannt geworden, dass die Istanbul-Universität ihm den Hochschulabschluss aberkannt hat. Dieser ist Voraussetzung zur Kandidatur für das Präsidentenamt. Hintergrund der Annullierung soll ein angeblich unrechtmäßiger Universitätswechsel sein. Auch 27 weiteren Personen wurde der akademische Grad laut dem TV-Sender TRT im Zuge der Entscheidung aberkannt. Auf Imamoglus Recht, das Bürgermeistermandat auszuüben, hat die Aberkennung des Abschlusses keine Konsequenzen.

Imamoglu erklärte, er wolle gegen die Entscheidung vor Gericht ziehen, habe aber das Vertrauen in faire Urteile verloren. Ihm drohen in einer Reihe weiterer Verfahren Haftstrafen und Politikverbote. Sein Anwalt Kemal Polat hatte der Nachrichtenagentur dpa vor Bekanntwerden des Haftbefehls gesagt, Imamoglu könne erst als Präsidentschaftskandidat antreten, wenn alle Rechtswege gegen die Entscheidung ausgeschöpft seien.

Human Rights Watch verurteilt Festnahme

Menschenrechtler zeigen sich alarmiert. Emma Sinclair-Webb, Direktorin von Human Rights Watch Türkei, verurteilte die Inhaftierung des Istanbuler Oberbürgermeisters und weiterer Istanbuler Stadträte. Es handele sich um einen "eklatanten Missbrauch des Justizsystems".

Die Inhaftierungen seien Teil eines "Musters politisch motivierter Ermittlungen". Das Vorgehen ziele darauf ab, oppositionelle Aktivitäten zu untergraben. Sinclair-Webb forderte die sofortige Freilassung von Imamoglu und den Inhaftierten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. März 2025 um 08:00 Uhr.