Zivile Verwaltung eingeführt Wie radikale Siedler im Westjordanland Fakten schaffen
Eine Annexion des Westjordanlandes ist der Traum vieler radikaler Siedler in Israel. Und glaubt man Finanzminister Smotrich, ist sie bereits im Gange - indem Kompetenzen vom Militär an die Zivilverwaltung übergeben werden.
Der Krieg im Gazastreifen beflügelt die Träume radikaler israelischer Siedler: Immer wieder ist von einer Wiederbesiedlung Gazas die Rede, sodass Premierminister Benjamin Netanyahu neulich in einem Interview mit dem Fernsehsender Channel 14 sich schon zu der Aussage genötigt sah, diese sei zur Zeit "nicht realistisch".
Manche phantasieren bereits von einer israelischen Besiedlung des Südlibanon, was noch realitätsferner erscheint. Doch im von Israel besetzten Westjordanland ist man schon einen großen Schritt weiter.
Bisher wurde das Gebiet vom israelischen Militär verwaltet, doch schon am 29. Mai dieses Jahres wurden zahlreiche Kompetenzen an eine israelische Zivilverwaltung übertragen.
Bezalel Smotrich, selbst ein Vertreter der radikalen Siedler und israelischer Finanzminister, ist darüber sichtlich stolz. Das belegt der Mitschnitt einer Rede, die er am 9. Juni auf einer Siedler-Konferenz hielt und die jetzt öffentlich geworden ist: "Wir haben ein separates, ziviles System geschaffen. Es gibt ein Büro im Verteidigungsministerium, eine Verwaltung." Und es gebe eine Verwaltungsleitung, die als Teil der Regierung akzeptiert sei. "Es gibt ein ganzes System innerhalb der Verwaltung."
Zuständige sind nun Smotrich unterstellt
Die nun Zuständigen sitzen zwar noch im israelischen Verteidigungsministerium, aber sie sind nicht mehr der Militärführung unterstellt, sondern Smotrich. In seiner Rede sagte der auch, warum das so ist: "Ich sage Euch, es ist sehr dramatisch: Wir haben ein separates ziviles System. Anfangs wollten wir die Zivilverwaltung vom Verteidigungsministerium trennen. Aber so ist es im internationalen und rechtlichen Kontext leichter, so werden sie nicht sagen, wir machen hier die Annexion."
Yehuda Shaul, einer der prominentesten israelischen Kritiker der Besatzung, erklärt gegenüber dem ARD Studio Tel Aviv, was das bedeutet: "Die Übertragung von Macht hat die Kompetenzen der israelischen Zivilverwaltung über die Grüne Linie auf die besetzten Gebiete ausgeweitet. Für viele Dinge, wie Land, Planung, Anwendung von Planungs- und Baurecht, Zerstörung von Häusern, Baugenehmigungen und viele andere Dinge."
Siedlungsausbau könnte sich noch einmal verschärfen
Seit die israelische Regierung unter Netanyahu mit rechtsextremen und ultrareligiösen Koalitionspartnern im Amt ist, wurde in weiten Teilen des Westjordanlandes der Ausbau der Siedlungen massiv vorangetrieben. Weitere, große Flächen wurden zum sogenannten staatlichen Land erklärt, zahlreiche palästinensische Häuser zerstört.
Dieser Trend könnte sich jetzt noch einmal verschärfen, meint Shaul: "Nach internationalem Recht muss eine Besatzung zeitlich befristet sein - militärisch und zum Wohle der Bevölkerung im besetzten Gebiet." Doch nun habe die israelische Regierung viele Vollmachten über zivile Angelegenheiten im Westjordanland vom Militär an die zivile Regierung übertragen. "Das ist auch strukturell wichtig. Denn jetzt machen das israelische Zivilisten." Anstatt die Armee als Puffer zu haben, gebe es jetzt Zivilisten, die nur israelischem Interesse dienten und nicht palästinensische Interessen berücksichtigten - "ganz im Gegenteil".
Annexion als Ziel
Glaubt man Smotrich, der als israelischer Finanzminister auch für den Siedlungsbau zuständig ist, dann trägt Netanyahu diesen Kurs mit. Zuletzt hatte der sich immer wieder damit gebrüstet, einen palästinensischen Staat jahrzehntelang verhindert zu haben.
Smotrich sagte am 9. Juni: "Es ist möglich, den Premierminister zu überzeugen, und ich werde etwas Gutes über ihn sagen, über seinen Verdienst. Sobald er das Ereignis verstanden hatte, war er voll mit uns."
Die Übertragung von Kompetenzen im besetzten Westjordanland vom israelischen Militär auf eine Zivilverwaltung verfolgt laut Shaul ein klares Ziel: Die besetzten Gebiete vollständig zu annektieren. Offiziell handelt es sich aus israelischer Sicht um, so wörtlich, "umstrittene" Gebiete - obwohl die Oslo-Abkommen und UN-Beschlüsse im Westjordanland einen palästinensischen Staat vorsehen.
Doch zur Zeit werden dort Fakten geschaffen, die eine Zwei-Staaten-Lösung immer unwahrscheinlicher machen.