Rede vor dem EU-Parlament Barroso will das Gesicht Europas werden
Es ist nicht Washington. Und er ist nicht Obama. Dennoch setzt EU-Kommissionspräsident Barroso bei seiner heutigen Rede "zur Lage der Europäischen Union" auf den Obama-Faktor. Er will das Gesicht Europas werden - und seinen Konkurrenten van Rompuy abschütteln.
Von Christoph Prössl, NDR-Hörfunkstudio Brüssel
Barroso spricht zur Lage der Union - das klingt nach Großem, nach Visionärem, das klingt nach US-Präsident. Wenn Barack Obama einmal im Jahr vor dem Kongress spricht, heißt das "State of the Union Address". Doch der Kommissionspräsident spricht nicht zur besten Sendezeit, und seine Ansprache wird auch nicht live übertragen. Schlimmer noch: Wenn Barroso das Wort ergreift, dann müssen die Fraktionschefs ihren Abgeordneten drohen, damit der Plenarsaal auch voll ist und es nicht peinlich wird.
Im Gespräch war eine Geldstrafe bei Nichtteilnahme - doch die Abgeordneten wehrten sich gegen diese Maßnahme - mit Erfolg. "Es ist das Grundprinzip in jedem Parlament, dass der Abgeordnete frei entscheiden kann, wann er da ist, wann er abstimmt, zum Beispiel kann es auch für einen Kollegen eine Äußerung sein, dass er durch seine Nicht-Anwesenheit sein Missfallen ausdrückt. In der Demokratie ist es ein großes Prinzip, dass der Abgeordnete das frei entscheiden kann", sagt der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber.
Barroso und van Rompuy kämpfen um die Gunst der Parlamentarier
Doch die Ränge dürften voll werden, denn nun wollen sich die Abgeordneten nicht mehr die Blöße geben nicht zu erscheinen. Grundsätzlich befürworten die meisten Parlamentarier, dass Barroso vor dem Parlament spricht - zur Lage der Nation. "Ich finde diesen Ansatz gut und ich finde es auch richtig, dass das der Kommissionspräsident tut", sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Schulz. "Es ist ja nicht verborgen geblieben, dass Ratspräsident van Rompuy das eigentlich für seine Domäne gehalten hat. Aber er ist nicht der Präsident der EU, sondern der Vorsitzende der Runde der Staats- und Regierungschefs."
Und genau aus diesem Grund habe Barroso seinen Auftritt gewählt, heißt es in diplomatischen Kreisen. Seine Rede sei Teil einer neuen Kommunikationsstrategie. Er kämpft darum, das Gesicht Europas zu werden und das Parlament sieht ihn in dieser Rolle lieber als Hermann van Rompuy. Denn die Staats- und Regierungschefs sind selten der gleichen Meinung wie die Parlamentarier und sie sind so etwas wie der natürliche Feind der Abgeordneten.
Kampf gegen die Nichtbeachtung
In seiner Rede spricht Barroso zu allen Teilen der Politik, Haushalt, Finanzkrise, Umwelt, Inneres und Justiz, Außenpolitik - auch für den Bürger. Denn die Europäische Union kämpft täglich um ihr Ansehen bei den Europäern, die mit EU Geldverschwendung und Bürokratie verbinden und die Institutionen durch Nichtbeachtung bestrafen - vor allem bei den Wahlen. "Bei den letzten Europawahlen gab es eine einzige Partei, die einen Spitzenkandidaten für die Kommission benannt hatte, das waren die Grünen mit Daniel Cohn-Bendit", erinnert der Leiter der Bertelsmann-Stiftung in Brüssel, Thomas Fischer. "Ansonsten war es aufgrund der komplexen Struktur der europäischen Parteien schwierig, einen solchen Kandidaten zu benennen. Das heißt, mit den Parteien war kein Gesicht verbunden."
Nach den Wahlen sollen die Bürger also mit der EU wenigstens das Antlitz Barrosos verbinden. Doch bis zum Bekanntheitsgrad von Obama dürfte es noch ein weiter Weg sein.