Stadt Luxemburg Betteln verboten - was sind die Folgen?
Seit einem Jahr gilt in vielen Teilen der Stadt Luxemburg ein Bettelverbot. Die Bürgermeisterin spricht von einem Erfolg gegen "organisierte Banden" - Obdachlose fühlen sich zunehmend aus der Innenstadt verdrängt.
Wenn David die Grand-Rue entlanggeht, eine der beliebtesten Shopping-Straßen in der Luxemburger Innenstadt, dann beachtet er die exklusiven Geschäfte und teuren Luxusmarken kaum. David sieht in der Grand-Rue vor allem einen guten Platz zum Betteln.
Er ist 41 Jahre alt, trägt lange blonde Dreadlocks und eine abgewetzte grüne Winterjacke. David stammt aus Tschechien, später arbeitete er in verschiedenen Ländern auf dem Bau und in Hotelküchen, erzählt er. Er spricht mehrere Sprachen fließend. Nun ist David auf Umwegen in Luxemburg gestrandet, lebt obdachlos auf der Straße und bettelt.
Bettelverbot seit einem Jahr
"Das hier ist der belebteste Teil der Stadt", sagt er. Vor allem abends kämen viele Menschen nach der Arbeit die Grand-Rue entlang, "und viele geben auch etwas ab", sagt er. Sein ehemaliger Bettel-Stammplatz liegt an einer Bus- und Bahnstation mit vielen Passanten.
Doch seit einem Jahr, seit Dezember 2023, ist das Betteln hier illegal. Dafür hat die Stadt Luxemburg die Polizeiverordnung geändert und ein Bettelverbot eingeführt, auch für das "stille" Bitten um Almosen.
Es gilt für die gesamte Innenstadt, das Bahnhofsviertel sowie viele weitere Straßen, Parks und öffentlichen Plätze im Stadtgebiet. Es drohen Strafen von bis zu 250 Euro, für "bandenmäßiges Betteln" sogar Gefängnis.
Der 41-jährige David spricht mehrere Sprachen fließend, auf Umwegen landete er in Luxemburg.
Verdrängung aus der Innenstadt
Die Polizei kontrolliere das Verbot, berichtet David. Einmal habe er an seinem Stammplatz gebettelt "und zehn Minuten später taucht die Polizei auf". Sie habe seinen Pass kontrolliert und ihm dann gesagt: "Pack zusammen und geh."
Im November 2024 sitzen weiterhin noch vereinzelte Bettler in der Innenstadt von Luxemburg und bitten Passanten um Geld. Viele sind es allerdings nicht. David beobachtet eine Verdrängung der Bettler aus der Innenstadt hin in außerhalb gelegene, weniger frequentierte Stadtviertel.
Den Beamten im Rathaus wirft er vor, sein "Überleben" auf der Straße noch zusätzlich zu erschweren. "Die leben in einer anderen Welt", sagt David. Er findet: Wer bettelt - und dies respektvoll tut -, störe niemanden. Und wer bettelt, der müsse nicht über das Stehlen nachdenken.
Betont, dass sich in der Praxis das Verbot nicht gegen "stille" Bettler richtet: Bürgermeisterin Polfer.
Rathaus feiert das Verbot als Erfolg
Wenige hundert Meter entfernt von Davids Stammplatz steht das mondäne Rathaus der Stadt. Mit breiten Treppen, roten Teppichen und vielen Fenstern. Bürgermeisterin Lydie Polfer von der Demokratischen Partei regiert die Stadt seit 2013.
Sie wertet das Bettelverbot als Erfolg: Zuvor hätten "aggressive Bettler" und "organisierte Banden" Angst in der Innenstadt verbreitet. Dies habe sich geändert. "Diese Leute sind sehr wohl informiert", sagt Polfer. Kaum hatte die Stadt Luxemburg das Bettelverbot angenommen, seien diese aggressiven Bettel-Banden "von heute auf morgen" verschwunden.
Sie betont: Der juristische Text umfasse zwar jede Form der Bettelei und betreffe auch einzelne, "stille" Bettler. In der Praxis sei die Polizei aber angehalten, das Verbot nur gegen aggressive Bettler und Banden durchzusetzen. "Das habe ich auch von Anfang an so kommuniziert", sagt Polfer. Bislang sei keine Geldstrafe gegen einzelne Bettler verhängt worden.
Was genau "aggressives Betteln" bedeutet, ist allerdings rechtlich in Luxemburg nicht festgelegt. Die juristische Definition werde derzeit ausgearbeitet, so Polfer. Der Bürgermeisterin zufolge hätten manche Bettler in den vergangenen Jahren insbesondere Senioren verfolgt, angefasst und bedrängt. Diese "tagtäglichen" Vorfälle habe die Stadt nicht mehr hinnehmen können.
Armut in Luxemburg wächst
Gleichzeitig kümmert sich die Stadt, gemeinsam mit wohltätigen Organisationen, um bedürftige und obdachlose Menschen. Streetworker halten den Kontakt zu Obdachlosen, Speise- und Schlafstätten werden finanziert, in den kalten Monaten bietet eine "Winteraktion" mit Kleiderkammer und Notschlafstelle zusätzliche Hilfe.
Auch die Organisation Stëmm vun der Stross in der Nähe der Luxemburger Innenstadt wird von Steuergeldern getragen. Rund 450 bedürftige Menschen pro Tag kommen mittags in das Haus von Stëmm vun der Stross, um für 50 Cent ein warmes Mittagessen zu erhalten.
Auch David, der tschechische Obdachlose mit den Dreadlocks, gehört dazu. Zusätzlich zu dem Essen können Menschen hier duschen, sich aufwärmen, ihre Kleider waschen und Sozialarbeiter treffen.
Immer mehr Bedürftige essen bei Hilfsorganisation
Nicht alle Bedürftigen, die hierher kommen, sind obdachlos oder betteln. Aber fast alle kennen das Problem der Armut. Die Direktorin von Stëmm vun der Stross, Alexandra Oxacelay, beobachtet, dass immer mehr Menschen in die Einrichtung kommen. Obwohl Luxemburg als eine reiche Stadt und als ein reiches Land gilt, seien mehr als 20 Prozent der Männer und Frauen von Armut bedroht, berichtet sie.
Das Bettelverbot hält sie für keine Lösung - es führe bloß zu einer Verlagerung des Armutsproblems raus aus der schicken Innenstadt. Die Stadt wolle ein "cleanes Image" schaffen und "die Armut verstecken", sagt Oxacelay. Aber die Armut lasse sich angesichts steigender Preise und hoher Mieten nicht mehr verstecken. "Das ist neu in Luxemburg."
"Wer nicht betteln darf, wird stehlen"
Von den Gästen bei Stëmm vun der Stross wollen nur wenige über das Bettelverbot sprechen. Christian, 60, ein gepflegter Mann aus Frankreich, mit Kurzhaarschnitt und wenigen Zähnen, lehnt das allgemeine, bestehende Bettelverbot zwar ab. Er bettele selbst, sagt er.
Aber es komme immer auf die Art und Weise des Bettelns an: Wer höflich und freundlich um Almosen bitte, der schade niemandem. Dies sollte erlaubt sein. Er ärgert sich über angetrunkene Obdachlose, die in Geschäftseingängen Menschen einschüchtern. Dieses Verhalten schade allen Bettlern. Aber die Konsequenzen eines allgemeinen Bettelverbots sind auch für ihn klar: "Wer nicht betteln darf, wird stehlen."
Unterschiedliche Gesetzeslage in der EU
Auf europäischer Ebene sind Bettelverbote keine Ausnahme. Die unterschiedlichen nationalen Gesetze zum Betteln lassen sich oft nur schwer miteinander vergleichen. Aber 2021 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Zuge einer Rechtsprechung die juristische Situation in europäischen Ländern analysiert.
In manchen Ländern, wie beispielsweise in Finnland, Portugal oder Griechenland, bestehen demnach keine Bettelverbote. In den meisten anderen Ländern ist das Betteln eingeschränkt möglich.
In Spanien, Österreich oder Deutschland beispielsweise können Städte und Kommunen das Betteln verbieten - etwa an bestimmten Orten oder konkrete Formen des Betteln. In Deutschland hat zum Beispiel die Stadt Bremen kürzlich ein Verbot der Bettelei in Bussen, Bahnen und in der Außengastronomie eingeführt.
Andere Staaten wie Frankreich oder Irland haben dem Europäischen Gerichtshof zufolge aufdringliches Betteln in ihren nationalen Gesetzen verboten. Besonders streng sind Zypern und Ungarn, die Betteln landesweit umfassender untersagen. Auch Schweden plant härtere Gesetze und Strafen.
Diese und weitere Reportagen sehen Sie im Europamagazin am Sonntag um 12:45 Uhr im Ersten.