Interview mit Jürgen von Jordan, Myanmar-Stiftung "Es geht ums Überleben, nicht um Umbruch"
"Die Bevölkerung in Birma will nicht in erster Linie die Generäle loswerden. Sie will mehr zu essen haben", sagt Jürgen von Jordan im Gespräch mit tagesschau.de. Er lebt die Hälfte des Jahres in Birma und hat eine Stiftung gegründet, die Schulen und Waisenhäuser errichtet.
"Die Bevölkerung in Birma will nicht in erster Linie die Generäle loswerden. Sie will mehr zu essen haben", sagt Jürgen von Jordan im Gespräch mit tagesschau.de. Er lebt die Hälfte des Jahres in Birma und hat eine Stiftung gegründet, die Schulen und Waisenhäuser errichtet.
tagesschau.de: Sie haben Freunde in Birma, was berichten sie in diesen Tagen?
Jürgen von Jordan: Ich habe Telefonkontakt zu Leuten in der ehemaligen Hauptstadt Rangun. Sie erzählen, dass das alltägliche Leben nicht stark beeinflusst ist. Die Geschäfte sind noch offen. Auch Flüge gibt es noch in alle Gegenden der Welt. Der Tourismus ist auch noch nicht betroffen. Das ist wichtig. Der Tourismus dient als Tor zur Welt. Dadurch erfahren die Menschen in Birma, wie es in der freien Welt vor sich geht. Denn die lokalen Medien sind einseitig und staatlich kontrolliert.
tagesschau.de: Sie verbringen viel Zeit in Birma. Wie sieht das Leben dort aus?
Jordan: In den Dörfern leben die Menschen noch wie vor 1000 Jahren: ohne elektrisches Licht, ohne fließend Wasser. Sie bauen keine Cash-Früchte an, das heißt, sie handeln und exportieren nicht. Sie tauschen wie eh und je: Reis gegen Salz oder Datteln gegen Zucker. Die Regierung liefert keinen Anreiz zu einer wirtschaftlichen Entwicklung. Es gibt nicht einmal die Infrastruktur, um Waren von einem Ort zum anderen zu transportieren.
tagesschau.de: Wie kommen die Menschen in den Städten über die Runden?
Jordan: Die Stadtbevölkerung hat es besonders schwer. Sie ist auch der Ausgangspunkt der jetzigen Aufstände. In den letzten zwölf Monaten lag die Inflationsrate bei 70 bis 150 Prozent. Die Leute verdienen im Monat vielleicht 15 Dollar. Fast alles davon brauchen sie, um Lebensmittel zu kaufen. Innerhalb eines Jahres haben sich die Preise nun verdoppelt. Das heißt, die Menschen haben auch nur noch die Hälfte zu essen. Dann haben die Militärs auch noch von einem Tag auf den anderen den Benzinpreis verdoppelt.
tagesschau.de: Warum hat sich der Aufstand ausgerechnet am Benzinpreis entzündet, die meisten haben doch gar kein Auto.
Jordan: Es geht um das Symbol: Die demonstrierenden Mönche und Studenten haben keine Autos. Aber das war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht hat. Die Preisverdoppelung auf einmal zu verkünden, war plump. Die Militärs hätten sich die Mühe machen können, alle drei Monate die Preise zu erhöhen. Sie hatten dabei keinerlei Fingerspitzengefühl. Volkswirtschaftlich war die Preiserhöhung gar nicht unbedingt verkehrt, denn Benzin wurde bislang subventioniert. Das kann sich ein so armes Land nicht leisten. Aber die Art und Weise zeigte der Bevölkerung die Mentalität der Führung: Den Militärs ist es egal, was 'die da unten' machen.
tagesschau.de: Gibt es in der Aufstandsbewegung ein konkretes Ziel, in welcher Weise sich der Staat verändern soll?
Jordan: Nein, es geht nicht um Spaß am politischen Umbruch, sondern ums Überleben. Die Bevölkerung will nicht in erster Linie die Generäle loswerden. Sie will mehr zu essen haben.
tagesschau.de: Die Mönche treten als Anwalt der Bevölkerung auf. Ist das ihre Aufgabe in der Gesellschaft?
Jordan: Es ist eine alte buddhistische Tradition, dass die Mönche an der Spitze der Gesellschaft stehen und quasi unverletzlich sind. Das hat die Regierung immer mitgemacht. Sie hat sich ehrfürchtig gegenüber den Mönchen verhalten. Die Mönche spielen eine außerordentliche Rolle. Deswegen konnten es nur die Mönche wagen, gegen die Regierung anzulaufen. Sie wissen, dass die Militärs nicht sofort auf sie schießen.
tagesschau.de: Was erhoffen sie sich für die künftige Entwicklung des Landes?
Jordan: Es müsste eine Änderung in der Regierungsform geben - mit anderen Figuren. Aber es ist undenkbar, dass das durch die Opposition passiert. Denn sie hat in über 40 Jahren keine Führungspersönlichkeiten heranziehen können. Das Land braucht eine starke Führung. Es gibt dort 136 Bevölkerungsgruppen, die alle verschiedene Interessen haben. Ich könnte mir vorstellen, dass es vielleicht eine neue Generation von Offizieren gibt, die mit den Oppositionellen zusammenarbeiten.
Die Fragen stellte Anja Mößner, tagesschau.de