Streit über Brexit Johnson droht eigenen Abgeordneten
Die Zeit ist knapp: Morgen wollen No-Deal-Gegner im britischen Parlament ihre Pläne für ein Gesetz vorstellen. Die Regierung will das verhindern - und droht Abweichlern in der eigenen Partei mit Konsequenzen.
Kurz vor der Rückkehr des britischen Parlaments aus der Sommerpause verschärft sich der Machtkampf zwischen Regierung und Parlament. Premierminister Boris Johnson sagte Gespräche mit konservativen Abgeordneten, die den Regierungskurs ablehnen, abrupt ab. Die Regierung übt außerdem massiven Druck auf mögliche Abweichler in den eigenen Reihen aus. Sie droht, Abgeordnete aus der Partei auszuschließen und bei der nächsten Wahl nicht mehr aufzustellen, sollten sie für ein von den No-Deal-Gegnern geplantes Gesetz stimmen.
Die Gegner eines ungeregelten EU-Austritts wollen morgen ihre Pläne für das Gesetz präsentieren, das einen No-Deal-Brexit verhindern soll. Es soll Johnson dazu zwingen, den Brexit-Termin noch einmal zu verschieben, falls kein Abkommen zustande kommt.
Johnson will sein Land notfalls auch ohne Abkommen am 31. Oktober aus der EU führen, die Opposition und einige Rebellen aus der Regierungsfraktion wollen dies um jeden Preis verhindern. Allerdings bleibt nur wenig Zeit, eine Gesetzesvorlage durch beide Kammern zu bringen und die Unterschrift der Königin zu erhalten: Schon in der kommenden Woche schickt Johnson die Abgeordneten bis zum 14. Oktober in eine Zwangspause. Der Schritt ist nicht nur bei der Opposition, sondern auch in den eigenen Reihen hochumstritten.
Neuwahlen angestrebt?
Rund 20 Brexit-Gegner der Konservativen sollen nun Gespräche mit der Opposition geführt haben. Einer der innerparteilichen Rebellen, der ehemalige Justizminister David Gauke, gab sich unbeeindruckt von Johnsons Drohungen: "Wenn wir als Abgeordnete einen harten Brexit verhindern können, aber nicht einschreiten, dann machen wir uns mitschuldig daran, diesem Land zu schaden", sagte er.
Dass die Regierung die Konfrontation mit den Gegnern in den eigenen Reihen sucht, wertet er als Indiz, dass Johnson ohnehin Neuwahlen anstrebt: "Die Regierung legt es geradezu auf eine Schlappe im Parlament an. Danach setzt sie Neuwahlen an und zwar ohne uns Befürworter eines geregelten Brexit."
Selbst wenn die Opposition in der kurzen Zeit vor der Zwangspause ein Gesetz durchpeitschen kann, gibt es Zweifel, ob die Regierung nicht einen Weg finden wird, es zu umgehen. Beispielsweise könnte Johnson bei einem Antrag auf Brexit-Verlängerung unerfüllbare Bedingungen stellen und somit eine Ablehnung der EU provozieren. Außerdem sorgten Äußerungen eines seiner Vertrauten zuletzt für Empörung. Staatsminister Michael Gove wollte nicht garantieren, dass die Regierung das geplante Gesetz umsetzen werde: Man müsse warten, was genau darin stehe.
Der Brexit-Experte der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer, zeigte sich entsetzt. "Keine Regierung steht über dem Gesetz", schrieb er auf Twitter. Kritik gibt es auch an Plänen, Abgeordnete, die mit der Opposition stimmen, bei der nächsten Wahl nicht mehr als konservative Kandidaten zuzulassen.
"Das Gefühl der Empörung wächst"
"Es sieht so aus, als stoppe Boris Johnson vor nichts, um seine undemokratische Schließung des Parlaments umzusetzen und dem Volk einen verheerenden ungeregelten Austritt aus der EU aufzuzwingen", schrieb die Vorsitzende der Liberaldemokratischen Partei, Jo Swinson, auf Twitter. Die frühere konservative Abgeordnete Anna Soubry twitterte: "Das Gefühl der Empörung wächst, das Gefühl, dass dies nicht mehr unser Land ist und dies nicht die britische Art ist."
Das weitere Vorgehen ist unklar. Kompliziert ist die Lage auch deshalb, weil Großbritannien keine geschriebene Verfassung hat, sondern sich an teils Jahrhunderte alte Gepflogenheiten hält. Möglich sind neben dem Gesetzesvorhaben auch ein Misstrauensantrag der Opposition - oder eben ein Antrag auf Neuwahlen durch die Regierung. Nach einer Umfrage der "Mail on Sunday" würden die Konservativen ihre Mehrheit von zurzeit einem Sitz auf mehr als 25 ausbauen.