EU-Gipfel will Juncker nominieren Camerons aussichtsloser Kampf

Stand: 26.06.2014 12:46 Uhr

Nach langem Gezerre will der EU-Gipfel den Luxemburger Juncker für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten nominieren. Der britische Premier Cameron kämpft weiter gegen die Personalie. Kaum jemand unterstützt ihn noch, obwohl er starke Argumente hat.

Von Von David Rose, tagesschau.de

David Cameron kämpft einen Kampf, in dem eine Niederlage von Anfang an wahrscheinlicher war als ein Triumph. Der britische Premier will Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsidenten verhindern. Die letzte Chance dazu bietet sich auf dem am Abend beginnenden EU-Gipfel.

Die Staats- und Regierungschefs werden den Kandidaten für den Chefposten der EU-Kommission nominieren. Wählen muss ihn dann das Europäische Parlament. Weil sich die Fraktionen des Parlaments schon kurz nach der Europawahl dafür aussprachen, dass Juncker als Spitzenkandidat der siegreichen Parteienfamilie EVP das Erstzugriffsrecht habe, gilt eine breite Mehrheit der Abgeordneten für den früheren luxemburgischen Ministerpräsidenten als ausgemacht.

Großbritannien ohne Veto-Möglichkeit

Doch das ist der letzte Schritt des Verfahrens. Um sich dem Votum des Europaparlaments stellen zu können, muss Juncker zunächst als Kandidat nominiert werden. Und das dürfen laut den EU-Verträgen nur die Staats- und Regierungschefs. Bisher entschieden sie sich stets im Konsens für einen Bewerber. Diesmal wird das anders sein, weil Cameron eine formale Abstimmung über Juncker erzwingen will. Dabei ist kein einstimmiges Votum notwendig, sondern nur eine sogenannte qualifizierte Mehrheit.

Dass Juncker die Hürde auf dem EU-Gipfel nimmt, gilt inzwischen als sicher. Denn neben Cameron stemmt sich nur noch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban gegen die Personalie. Dagegen lenkten die lange Zeit ebenfalls skeptischen Niederlande sowie Schweden gestern ein. Wenn es auf dem EU-Gipfel zur Abstimmung komme, "werden wir Junckers Kandidatur unterstützen", sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. Der schwedische Regierungschef Fredrik Reinfeldt erklärte, er sei bereit, Juncker zu akzeptieren, wenn dieser die Unterstützung des EU-Parlaments bekomme und von den EU-Staats- und Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit nominiert werde.

Die sozialdemokratischen Staats- und Regierungschefs von neun EU-Staaten - darunter der französische Präsident Francois Hollande - hatten sich bereits vor einigen Tagen für den Konservativen Juncker ausgesprochen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nach der Europawahl zunächst mit einer klaren Unterstützung für Juncker zögerte, setzt sich seit einigen Wochen auch gegen den britischen Widerstand für ihn ein. Sie geht inzwischen davon aus, dass ihn der EU-Gipfel mit Gegenstimmen nominieren wird. Es sei "kein Drama, wenn wir nur mit qualifizierter Mehrheit abstimmen würden", sagte sie im Bundestag.

Widerstand gegen Machtverlagerung

Doch warum lehnt Cameron die Kandidatur Junckers so entschieden ab und drohte indirekt sogar mit einem EU-Austritt seines Landes? Seinen Widerstand - bei dem ihn auch die britische Opposition ausdrücklich unterstützt - begründet er mit formellen und inhaltlichen Argumenten.

In erster Linie wehren sich Cameron und Orban gegen einen Automatismus, demzufolge der Spitzenkandidat der größten Fraktion im Europäischen Parlament auch Präsident der EU-Kommission werden müsse. Für diese Logik kämpfen die Fraktionen des Europäischen Parlaments. Im Wahlkampf versuchten sie, möglichst viele Bürger auch mit dem Hinweis an die Wahlurnen zu locken, dass diesmal über den künftigen EU-Kommissionspräsidenten entschieden werde. Sie beriefen sich dabei auf eine Formulierung des Vertrags von Lissabon, wonach die Staats- und Regierungschefs bei der Nominierung des Kandidaten das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen müssen.

Cameron und Orban verweisen aber ausdrücklich darauf, dass das Vorschlagsrecht für den neuen Kommissionspräsidenten allein bei den Staats- und Regierungschefs liege. Sie wehren sich dagegen, Macht an das Parlament abzugeben und an das Wahlergebnis und die Aufstellung der Spitzenkandidaten durch die Parteien gebunden zu sein. Ein solcher Automatismus verstoße gegen die EU-Verträge. "Juncker kandidierte nirgendwo und wurde von niemandem gewählt", sagte Cameron. "Es ist falsch, dem Machtzugriff durch die Parteien und das Europaparlament zuzustimmen." Orban warnt sogar davor, dass die Grundfesten der EU zerstört werden könnten, wenn der EU-Gipfel im Machtkampf mit dem Parlament nachgebe. "Die Regierungschefs nominieren den Kandidaten, und nicht die Parteien", sagte Orban, "und zwar unabhängig davon, wer Spitzenkandidat war".

Juncker gilt als falscher Mann für Reformen

Hinter den Warnungen vor einer Aushöhlung der EU-Verträge stecken aber zugleich inhaltliche Gründe. Vor allem Cameron drängt auf eine Reform der EU, durch die wieder mehr Entscheidungen in den Einzelstaaten und weniger in Brüssel fallen sollen. Er leitet dies auch aus der niedrigen Beteiligung bei der Europawahl ab. "Die Menschen sind von der EU tief enttäuscht: davon, wie sie arbeitet, wie sie für Großbritannien funktioniert, und sie wollen Wandel", sagte der Premier. Cameron glaubt nicht, dass dieser Wandel mit einem EU-Kommissionspräsidenten Juncker möglich sei. Denn der langjährige Chef der Eurogruppe ist aus seiner Sicht ausgelaugt und steht für das Weiter-So einer alten Brüsseler Elitenpolitik. Der künftige Kommissionspräsident müsse aber Reformen durchsetzen und akzeptieren, "dass die Dinge in Europa manchmal am besten auf nationaler Ebene geregelt werden".

Jens-Peter Marquardt, J.-P. Marquardt, ARD London, 26.06.2014 13:15 Uhr

Camerons Haltung ist auch innenpolitisch motiviert. Die euroskeptische UKIP triumphierte bei der Europawahl. Deren Wählern will der Premier nun signalisieren, dass auch er für die britischen Interessen kämpft. Seine aktuelle Haltung verschafft ihm vor den nächsten Parlamentswahlen nicht nur eine geschlossene Rückendeckung der eigenen Partei, sondern auch Applaus von Liberaldemokraten und Labour-Abgeordneten. Vor dem EU-Gipfel gab es immer wieder Signale, dass die anderen Staaten Großbritannien als wichtiges EU-Mitglied sehen und daher mit Blick auf die Personalie Juncker zu Zugeständnissen in anderen Fragen bereit sein könnten. Cameron wird alles versuchen, seine absehbare Niederlage in der Heimat wie einen Erfolg aussehen zu lassen.