Interview mit CCC-Experte Jens Ohlig "China kennt verschiedene Formen der Internetzensur"
Wie ist es möglich, dass ein Staatsapparat anscheinend in der Lage ist, den Internetverkehr zu überwachen? Wie macht ein Staat wie China klar, was online nicht erwünscht ist? Und wieso halten sich die User dran? tagesschau.de sprach darüber mit dem Asien-Experten des Chaos Computer Clubs, Ohlig.
tagesschau.de: Herr Ohlig, mit welchen technischen Mitteln wird das Internet in China zensiert?
Jens Ohlig: Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Es wird zum Beispiel im Internetverkehr nach Schlüsselwörtern wie Tibet, Taiwan und Unabhängigkeit gesucht und gesperrt, wenn solche Inhalte gefunden werden. Die Suchmaschinen - auch Microsoft, Yahoo und Google - zeigen nur zensierte Treffer an. Bestimmte Webseiten werden umgeleitet. Schließlich kann auch die gesamte Kommunikation zeitweise gesperrt werden. Begibt sich ein Internetbenutzer auf kritische Seiten oder stellt Suchanfragen zu unbequemen Themen, kann es passieren, dass mitten im Surfen die Verbindung abbricht.
tagesschau.de: Welche Seiten sind davon betroffen?
Ohlig: Das ist schwierig zu sagen, denn es gibt keine klare Linie. Komplett gesperrt sind Seiten, auf denen sich der Dalai Lama äußert oder die Glücksspiele und Pornografie anbieten. Bei anderen ist das nicht so klar zu sagen. In Krisensituationen kann es so weit gehen, dass alle westlichen Medien - speziell die, die auf Chinesisch oder Englisch publizieren - zensiert werden. Aber das kann eine Woche später schon wieder vorbei sein. Technische Internetzensur ist nie lückenlos und kann mit entsprechendem Aufwand umgangen werden. Wichtig ist den offiziellen Stellen, dass die Botschaft ankommt, dass jederzeit überwacht werden kann. Der Benutzer soll selbst verinnerlichen, was staatlich nicht erwünscht ist.
tagesschau.de: Spielen auch gesellschaftliche Zwänge eine Rolle bei der Zensur?
Ohlig: Das ist der zweite Pfeiler der Zensur. Nur wenige Chinesen besitzen ihren eigenen PC und gehen deshalb in Internet-Cafés. Gemeinschaftliches Surfen ist weit verbreitet. Es herrscht also eine soziale Kontrolle, weil andere sehen, auf welchen Seiten ich surfe. Außerdem braucht jeder Betreiber einer Internetseite eine Lizenz vom Staat. Um diese nicht zu verlieren, beschäftigen alle größeren Internet-Portale "große Mamas". Das sind Mitarbeiter, die die Foren überwachen und kritische Inhalte sofort löschen.
tagesschau.de: Steuert die Regierung gezielt Internet-Kampagnen - wie etwa den Aufruf die tagesschau.de-Umfrage zu beeinflussen oder den Boykott von französischen Produkten?
Ohlig: Es ist schwierig, solche Aktionen detailliert zu planen und zu steuern. In Foren und Blogs kann sich ohne zentrale Steuerung schnell ein Internet-Mob organisieren. Das ist aber ein Phänomen, das nicht nur in China zu beobachten ist. So wendet sich im Moment gerade eine weltweit über Diskussionsforen lose organisierte Gruppe im Internet gegen die Scientology-Kirche. Natürlich begünstigt die Stimmung in China, dass sich solche Bewegungen formieren. Die bevorstehende Olympiade und der ausgeprägte Nationalismus wirken in einem autoritären Staat wie sozialer Kitt. Allerdings beeinflusst der Staat solche Phänomene, indem er sie bei ideologiekonformen Themen einfach laufen lässt und bei kritischen Themen unterdrückt.
tagesschau.de: Welche Macht haben die chinesischen Nutzer?
Ohlig: Die Zahl der chinesischen Internetnutzer ist mittlerweile größer als die der amerikanischen. Weltweit gibt es mehr Chinesen im Netz als User von anderen Nationen. Allein durch ihre Masse können sie Macht ausüben. Trotzdem sollte man den Einfluss des Internets in China nicht überschätzen. Es ist immer noch so, dass nur ein ganz geringer Anteil der Chinesen Zugang zum Internet hat. In der Mehrheit sind es junge Menschen, die eine gute Schulbildung haben.
Die Fragen stellte Irena Güttel für tagesschau.de