In Kopenhagens Hippie-Kolonie Christiania-Bewohner reißen Haschbuden ab
Nach einer Schießerei mit der Polizei in Kopenhagens autonomer Freistadt Christiania ist ein mutmaßlicher Drogendealer seinen Verletzungen erlegen. Die Bewohner gehen derweil mit Baggern gegen die Haschisch-Stände vor.
Es kommt schon mal vor, dass die Polizei in Christiania auftaucht, auch in Zivil. Dann geht es so gut wie immer um den Drogenhandel, der längst in organisierten, kriminellen Händen ist, Jahresumsatz: geschätzt mehr als 130 Millionen Euro.
Doch plötzlich ist alles anders: Polizisten wollten diesmal einen mutmaßlichen Dealer durchsuchen, aber der zückte eine Waffe und schoss. Die Polizei schoss zurück. Einer von ihnen wurde lebensgefährlich am Kopf verletzt, seinen Kollegen und einen Besucher des Hippieviertels traf es am Bein, der verdächtige 25-Jährige ist tot.
"Angriff auf uns alle"
Dänemarks Justizminister Sören Pind spricht aus, was viele denken - auch diejenigen, denen dieses Anfang der 1970er-Jahre von Hausbesetzern gegründete autonome Christiania schon lange ein Dorn im Auge ist: "Das ist ein Angriff auf uns alle. Das ist auch ein Angriff auf den friedlichen Teil von Christiania. Jetzt ist es Zeit, aufzuwachen. Es geht hier um ein höchstkriminelles Milieu, wo man nicht mehr zögert, Waffen zu gebrauchen. Man schießt vermutlich absichtlich, um dänische Polizisten zu töten. Das ist eine komplett unakzeptable Entwicklung."
Christiania ist ein links-alternativer, autonomer Stadtteil in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Auf dem 34 Hektar großen ehemaligen Militärgelände leben etwa 600 Menschen. Der Stadtteil entstand 1971 aus Protest gegen die dänische Regierung, die nach Meinung der Christiania-Bewohner nicht ausreichend bezahlbaren Wohnraum anbot. Probleme mit Gewalt und organisiertem Drogenhandel gab es in der Vergangenheit immer wieder.
Und eine Entwicklung mit Ansage. Als die Polizei vor zwölf Jahren zum ersten Mal versuchte, den Drogenhandel in der "Pusher Street" zu stoppen, da standen die Haschischbuden nach kurzer Zeit wieder. Aber hinter den Kulissen hatten Profis das Geschäft an sich gerissen und die Hippies aus dem Handel verdrängt.
Jetzt, nach der Schießerei, spüren die Bewohner der Kolonie, dass die Geduld der Dänen langsam am Ende ist und dass ihr Traum von der grenzenlosen Freiheit ausgeträumt sein könnte. Also haben sie etwas getan, was noch vor Wochen undenkbar gewesen wäre. Um ein Zeichen zu setzen und sicher auch, um der Polizei diesmal zuvorzukommen.
Lotte aus Christiania war dabei und erzählt: "Wir reißen jetzt die Pusher Street ab. Die Buden und alles. Ist doch klar, dass wir mitgenommen sind von dem, was passiert ist. Unglaublich mitgenommen. Die Gewalt muss jetzt ein Ende haben."
Wenn es denn ein Ende wird. Insider bezweifeln, dass die Aktion der Bewohner etwas bringt und fürchten, dass die Buden bald wieder stehen. So wie es bisher immer gewesen ist.
"Ein anderes Christiania"
Nein, sagte Lotte, diesmal nicht, denn da sei eine rote Linie überschritten worden: "Wir wünschen uns ein anderes Christiania. Wir wünschen uns eines, in dem man richtig gut aufeinander aufpasst. Wo die alten Werte von Gemeinschaft wieder das höchste Gut sind. Das hier bedeutet so viel für uns. Deshalb ist das hier jetzt ein entscheidender Augenblick. Deshalb ist es für mich so wichtig, dass Christiania die Sache selbst regeln kann."
Dass die Bewohner das aber hinbekommen, bezweifeln viele Dänen und denken laut über das Ende dieses fast 50-jährigen "Experiments" nach, während andere die Schießerei zum Anlass nehmen, erneut die Legalisierung weicher Drogen zu fordern, um kriminelle Dealer zu stoppen. Aber dafür gibt es im konservativ regierten Dänemark zurzeit ganz sicher keine politische Mehrheit.