Interview

Ebola-Experte zu ungetesteten Medikamenten "Mehr Schaden als Hilfe"

Stand: 12.08.2014 18:30 Uhr

Ein noch nicht zugelassenes Medikament aus den USA soll Liberia beim Kampf gegen Ebola helfen. Das sei der völlig falsche Weg, kritisiert Ebola-Experte Jonas Schmidt-Chanasit im Gespräch mit tagesschau.de. Er befürchtet fatale Folgen.

tagesschau.de: Die WHO hält den Einsatz von experimentellen Wirkstoffen im Kampf gegen Ebola angesichts der „besonderen Umstände“ für vertretbar. Teilen Sie diese Einschätzung?

Jonas Schmidt-Chanasit: Ich halte das für sehr riskant. Wir wissen nur sehr wenig über die Nebenwirkungen dieser Medikamente beim Menschen. Im Gespräch ging es ja unter anderem um das Medikament ZMapp eines amerikanischen Herstellers. Hierbei handelt es sich um einen Antikörpercocktail, der gegen bestimmte Proteine des Ebola-Virus gerichtet ist. Ähnliche Medikamente, beispielsweise Krebsmedikamente, können einen anaphylaktischen Schock (gemeint ist ein allergischer Schock, Anm.d.R. ) hervorrufen. Und der kann im Extremfall auch tödlich verlaufen.

Zur Person

Jonas Schmidt-Chanasit, Jahrgang 1979, studierte Medizin an der Berliner Charité und leitet am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin die Abteilung für Virologische Zentraldiagnostik. Das Institut gilt in Europa als führende Forschungseinrichtung zu Ebola und ist ein Kooperationszentrum der WHO.

Wenn solche unerprobten Medikamente an einer breiteren Bevölkerungsschicht ausprobiert würden und es zu solchen Nebenwirkungen käme, hätte das fatale Folgen. Die westliche Medizin hat ja sowieso schon einen schweren Stand in Westafrika. Man vertraut westlichen Experten nicht, weshalb Ratschläge oft nicht befolgt werden. Patienten werden zum Teil nicht in Krankenhäuser gebracht, sondern zu traditionellen Heilern. Das trägt dazu bei, dass die Krankheit sich weiter ausbreitet. Wenn es also zu noch größeren Vertrauensbrüchen käme, könnte das alles mehr Schaden anrichten, als es hilft.

"Völlig falscher Ansatz"

tagesschau.de: Zwei infizierte US-Amerikaner wurden mit ZMapp behandelt und scheinen nun auf dem Weg der Besserung zu sein. Sollte die Bevölkerung diese Chance nicht auch haben?

Schmidt-Chanasit: Es ist absolut unklar, ob die Besserung der beiden US-Amerikaner auf ZMapp zurückzuführen ist. Es kann auch die intensivmedizinische Betreuung gewesen sein oder das Abwehrsystem der Patienten. Davon abgesehen könnte man sowieso nur sehr wenigen Menschen helfen, vielleicht 30, vielleicht 50, denn die Mengen sind sehr begrenzt. Es dauert sehr lange und es ist sehr schwierig, das Medikament herzustellen, es muss gentechnisch aus Tabakpflanzen erzeugt werden.

Vorwurf: Medikamentenversuche an der Bevölkerung

tagesschau.de: Was muss stattdessen Priorität haben?

Schmidt-Chanasit: Viel wichtiger wäre es, dafür zu sorgen, dass die Seuche sich nicht weiter ausbreitet. Die Energie und das Geld sollten darauf verwendet werden, mehr Isolierstationen einzurichten, für mehr medizinisches Personal zu sorgen. Es mangelt ja zum Teil schon an einfachen Desinfektionsmitteln.

Die Vergangenheit hat zudem gezeigt, dass man einen solchen Ebola-Ausbruch in erster Linie mit den  klassischen Verfahren in den Griff bekommt: Man muss alle Kontakte von Erkrankten ausfindig machen und die Patienten gut isolieren. Natürlich sollte man weiter an der Erforschung von Ebola-Medikamenten und Impfstoffen arbeiten. Aber nicht mit einer überhasteten klinischen Evaluierung eines experimentellen Medikaments. Man wird ohnehin nicht in den nächsten Wochen ein Allheilmittel finden.

tagesschau.de: Was spricht gegen Tests in der jetzigen Situation?

Schmidt-Chanasit: Zum einen sind das sehr schwierige ethische Fragen. Wem gibt man das Medikament, wem nicht? Wenn es zum Beispiel bei einem Teil der Patienten zu den beschriebenen fatalen Nebenwirkungen kommt, setzt man sich dann nicht dem Vorwurf aus, Medikamentenversuche an der Bevölkerung gemacht zu haben?

Zum anderen entsteht in der jetzigen Situation eine zu große Hektik. Normalerweise braucht man Jahre für die klinischen Tests solcher Medikamente, in der Notlage wird das dann durchgepeitscht. Kommt es zu Nebenwirkungen, sagt man womöglich, das Medikament ist nicht gut und kann nicht verwendet werden. Hätte man mehr Zeit, würde man hingegen andere Dosierungen ausprobieren usw. und käme womöglich zu dem Schluss, es ist hilfreich.

Wir müssen zuerst herausfinden, wie sicher die experimentellen Wirkstoffe sind. Und ganz wichtig ist zu wissen, wann man solche Medikamente verabreichen kann. Wie stabil müssen Patienten dafür sein? Das sind sehr schwierige Entscheidungen.

Öffentlicher Druck führt zu Schnellschlüssen

tagesschau.de: Gibt es andere Medikamente, die bei Ebola helfen könnten?

Schmidt-Chanasit: Ja, es gibt verschiedene. Beispielsweise das T-705, das auch unter dem Namen Favipiravir bekannt ist, ein Influenzamedikament der Japaner. Dieses Medikament hat die drei wichtigen klinischen Phasen schon durchlaufen und auch im Tierexperiment sehr gute Daten gezeigt. Eigentlich müsste eine Kommission der WHO entscheiden, welches der Medikamente, sich am ehesten eignen könnte. Aber ich glaube nicht, dass alle Medikamente in so kurzer Zeit gut evaluiert werden können.

Es gibt beispielsweise auch interessante Daten aus Hannover und Marburg. Dort hat man Medikamente getestet, wie Amiodaron und Verapamil, die längst für andere Erkrankungen zugelassen sind. Die könnten eine interessante Alternative zu experimentellen Medikamenten wie ZMapp sein. Erste Daten zeigen, dass sie auch bei Ebola wirken, auch wenn es noch weitere Studien zur Wirksamkeit braucht. Der Vorteil: Das Risiko wäre nicht so hoch, weil man die Nebenwirkungen sehr gut kennt. Das wäre ein wesentlich eleganterer und schnellerer Weg.

DLF, 08.08.2014 10:32 Uhr

tagesschau.de: Wenn es zugelassene Medikamente gibt, die gegen Ebola helfen, warum setzt man sie dann nicht ein?

Schmidt-Chanasit: Warum man nicht über den Einsatz solcher Medikamente spricht, weiß ich nicht. Das hat vielleicht auch etwas mit Lobbyarbeit und dem Druck der Öffentlichkeit in der aktuellen Situation zu tun. Das führt leicht zu einer zu schnellen Fokussierung auf einzelne Medikamente, wie in diesem Fall auf ZMapp. Hier wäre es wichtig, ein unabhängiges internationales Gremium zu schaffen, das die vorhandenen Therapieoptionen evaluiert und Vorschläge unterbreitet.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de