Ein Jahr nach dem Krieg Pause im Kaukasus-Machtpoker?
Ein Jahr ist seit dem Kaukasus-Krieg vergangen: Nach wie vor ist Georgien zwar ein Konfliktherd - mit hitzköpfigem Präsidenten, massiver russischer Militärpräsenz und zwei abtrünnigen Regionen. Jüngste Nachrichten ließen zudem auf neue Spannungen schließen. Doch einiges spricht gegen eine neue Eskalation.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
Die Ansage war deutlich: Das russische Verteidigungsministerium behalte sich das Recht auf Anwendung von Gewalt vor, um das Leben der Zivilisten und der russischen Soldaten in Südossetien zu verteidigen, hieß es am 1. August in einer Erklärung des Ministeriums in Moskau. Verbunden war die Drohung mit dem Vorwurf, Georgien provoziere neue Spannungen durch den Beschuss von südossetischem Territorium. Die Regierung in Tiflis wies dies strikt zurück und beschuldigte ihrerseits die Russen, die Grenzlinie verschieben zu wollen.
In den folgenden drei Tagen erhoben alle Seiten neue Vorwürfe und es schien, als könnte sich etwas anbahnen, wovor der russische Militärexperte Pawel Felgenhauer seit Monaten beharrlich warnt - eine neue Eskalation im Südkaukasus. Immerhin hatte Felgenhauer als einer der ganz wenigen Experten den Krieg im vergangenen Jahr Wochen vorhergesagt.
Georgiens Präsident Saakaschwili hat wegen des Georgien-Kriegs international viel Unterstützung verloren.
Auch in diesem Jahr klingen seine Argumente nachvollziehbar: Russlands Ziel sei ein demilitarisierter Nachbarstaat mit einer schwachen Zentralregierung. Russische Truppen sollten in ganz Georgien stationiert werden, um die Kontrolle über den Energie-Korridor im Südkaukasus herzustellen, die Hoffnungen Georgiens auf eine NATO-Mitgliedschaft endgültig zu zu zerstören - und einen Versorgungsweg für die vom Heimatland abgeschnittenen russischen Militärbasen in Armenien zu sichern.
Will Georgien eine neue Eskalation?
Der russische Vizegeneralstabschef Anatoli Nogowitzin argumentiert dagegen, Georgien wolle die angespannte Situation eskalieren lassen, um sich die Unterstützung des Westens zu sichern. Zudem warnt Russland seit Monaten die Regierung in Tiflis davor, mit Hilfe der USA und der Ukraine die Wiederbewaffnung des Landes zu betreiben.
Tatsächlich war es Präsident Michail Saakaschwili im vergangenen Jahr gelungen, die weltweite Aufmerksamkeit auf die Konflikte um Südossetien und Abchasien zu lenken. Doch der Preis für den Angriff auf die südossetische Hauptstadt Zchinwali war hoch. Nicht nur sind die beiden abtrünnigen Gebiete nun fest in russischer Hand und ist der Schaden für sein Land hoch.
Auch verlor Saakaschwili an Vertrauen und Ansehen. Während georgische Oppositionspolitiker durch Westeuropa und die USA touren, bleibt Saakaschwili meist zu Hause. Seine Regierung musste einsehen, dass die Forderung an den Westen "Entscheidet Euch für uns oder Russland!" nicht aufgeht.
Ein Spieler, aber ohne Ressourcen
Da Saakaschwili durch monatelange Proteste der Opposition auch im eigenen Land unter Druck geraten war, lag die Befürchtung nahe, er könne mit einer erneuten Eskalation das Land wieder hinter sich scharen wollen. Regierungskritiker in Georgien bezweifeln dies: "Auch wenn er ein Spieler ist, so versteht Saakaschwili, was solche Aktionen in Russland, in der internationalen Gemeinschaft und auch in Georgien selbst auslösen würden", sagt Oppositionsführer Irakli Alasania, der Saakaschwili noch gut aus gemeinsamen Jahren in der Regierung kennt.
Auch David Usupaschwili von den Republikanern glaubt, "dass der Präsident das Abenteuer vom vergangenen Jahr nicht wiederholen wird, denn er hat dafür bereits alle politischen, militärischen, finanziellen und moralischen Ressourcen ausgereizt".
Insofern ist die Frage, ob die Sicherheitskräfte Georgiens inzwischen wieder zu mehr als zu Grenzpatrouillen in der Lage sind. Vizeverteidigungsminister Giorgi Muchaidze betont, dass der Fokus auf der Verbesserung der Verteidigungsfähigkeiten sowie der Ausbildung der Soldaten und des zivilen Personals liege. In letzterem werde Georgien von seinen Partnerländern und der NATO mit Trainingsprogrammen unterstützt.
Georgien ist nicht bereit für neue Waffen
US-Vizepräsident Joe Biden bestätigte Mitte Juli, dass sein Land das georgische Militär unterstütze. Doch beschränke sich dies auf "Planung, Training und Organisation".
Eine Mitarbeiterin des US-Verteidigungsministeriums präzisierte kürzlich vor einem Kongressausschuss in Washington: Für die Zukunft sei das Thema nicht vom Tisch, doch im Moment sei Georgien nicht für den Erwerb von Verteidigungswaffen bereit.
US-Vizepräsident Biden zu Besuch in Georgien
Sehr zurückhaltend reagierte Washington auch auf die Bitte Georgiens, die EU-Beobachtermission mit Personal zu unterstützen, wohl wissend um die vorauszusehende Verärgerung Russlands. Insofern liegt der Schluss nahe, dass die USA im Südkaukasus derzeit vor allem Ruhe wollen.
Ärger im Nordkaukasus
Russland seinerseits baut die militärische Präsenz in Südossetien und Abchasien unverhohlen aus, und zwar entgegen der Friedensvereinbarung. Beobachter glauben, dass Russland damit noch ausreichend beschäftigt ist - ebenso wie mit den Problemen im Nordkaukasus. Dass Abchasien und Südossetien von Moskau als unabhängig anerkannt wurden, sorgt für Ärger im russischen Teil des Gebirges, wo Moskau vergleichbare Autonomiebestrebungen unterdrückt und die Armut groß ist. Aber auch in Südossetien und Abchasien sind viele unzufrieden: Abchasiens Opposition kritisiert einen Ausverkauf an Russland und der südossetische Führer Eduard Kokoity musste mit Vorwürfen gegen Georgien von Korruptionsvorwürfen gegen ihn selbst ablenken.
Als wirksam scheint sich indes ein Gespräch der Präsidenten Obama und Medwedjew zu erweisen. Seit beide am Dienstag miteinander telefonierten, gab es zunächst keine neuen Berichte über Schießereien. Schaukeln sich kleinere Zwischenfälle nicht doch noch zu größeren militärischen Auseinandersetzungen auf, könnte Georgien zumindest in diesem Sommer von einer neuen Eskalation verschont bleiben.