EU-Beitrittsgespräche mit der Ukraine Ein Kraftakt mitten im Krieg
Auf dem Weg in die EU kommen auf die Ukraine harte Verhandlungen zu. Gesetze, Rechtssystem und Wirtschaft müssen angepasst werden. Ein Kraftakt mitten im Krieg - aber einer, auf dem viele Hoffnungen ruhen.
Wer hätte das gedacht? Als die Ukraine nur vier Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs den Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellte, erntete das Land mit seiner von russischen Truppen nahezu umzingelten Hauptstadt oft nur ein mitleidiges Lächeln.
Jetzt aber ist es tatsächlich so weit. Heute beginnen offiziell die Beitrittsverhandlungen mit der EU. Erleichterung bei Präsident Wolodymyr Selenskyj: "Es ist eine wirklich historische Woche. Seit einem Jahrzehnt bewegt sich die Ukraine auf das hier zu. Das ist das persönliche Ergebnis aller, die sich am 24. Februar für die Ukraine entschieden haben, die für unser Land kämpfen, die die Ukraine stärken."
Polen will Erfahrungen teilen
Und Stärke braucht die Ukraine auch noch für die kommenden Jahre. Niemand weiß, wie lange genau der Beitrittsprozess dauern wird. Nur eines sei klar, es werde ein langer Weg, sagt Adam Szlapka - polnischer Minister für EU-Angelegenheiten.
Polen sei bereit, seine Erfahrungen mit der Ukraine zu teilen, so Szlapka vergangene Woche in Kiew: "Der Prozess ist sehr schwierig und das ist die wichtigste Botschaft, die wir haben. Die Ukraine muss hart arbeiten und das Land wirklich reformieren, das Land auf europäische Regulierungen vorbereiten."
Anpassung an europäische Standards
Seine ukrainische Kollegin Olha Stefanischyna macht sich keine Illusionen. Um wirklich Teil der europäischen Familie zu werden, müsse die Ukraine noch viel unternehmen, sagt die Ministerin für europäische Integration.
Gesetzgebung, Rechtssystem, Wirtschaft - all das muss das Land an europäische Standards anpassen. Ein Kraftakt mitten im Krieg. Und dennoch sei die Ukraine bereits auf einem gutem Weg, meint Stefanischyna gegenüber ukrainischen Medien.
"Die Ukraine geht ganz gut in diese Verhandlungen", sagt sie. "Wir haben schon die Handelsliberalisierung, wir haben den Zugang zum EU-Arbeitsmarkt, wir haben Visafreiheit, eine Zollvereinfachung. Die Ukraine ist Teil des europäischen Energiemarktes." Das seien sehr komplexe Prozesse, die bereits bewältigt seien.
Jahrelange und harte Verhandlungen
Und doch gibt es Skepsis. Korruption, Krieg und nicht zuletzt der sich schon jetzt anbahnende Konflikt mit den polnischen Bauern. Anna Lührmann, Staatsministerin für Europa im Auswärtigen Amt, sieht Fortschritte auf ukrainischer Seite - besonders im Kampf gegen die Korruption. Und auch die EU müsse sich jetzt verändern, fordert die Grünen-Politikerin.
"Es muss es darum gehen, dass wir parallel zum Erweiterungsprozess auch uns auch als EU reformieren und das in mehreren Bereichen", sagt Lührmann. "Zum einen müssen wir es schaffen, dass die Regeln, wie wir zusammenarbeiten, wirklich auch fit sind für eine Union von 35 oder mehr Mitgliedstaaten." Es brauche weniger Vetos und die Werte müssten besser geschützt werden, "also die Instrumente zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit ausbauen".
Und es müsse überlegt werden, wie das in verschiedenen Politikbereichen wie zum Beispiel der Landwirtschaftspolitik und Sozialpolitik in einer größeren EU gehen könne. "Da müssen wir überlegen, wie wir Instrumente auch umgestalten können und gleichzeitig eben alle mitnehmen können."
Es werden jahrelange und harte Verhandlungen auf die Ukraine zukommen. Viele Menschen aber unterstützen den Weg in die EU - und hoffen auf Reformen.