Nach dem Brexit-Votum EU-Wirtschaftspolitik - was geht da?
Die Regierungschefs von Italien, Frankreich und Deutschland tun sich schwer, in der EU-Wirtschaftspolitik an einem Strang zu ziehen. Die Gegensätze bestehen weiter. Aber eine Möglichkeit gibt es doch.
"It’s the economy, stupid!" – Auf die Wirtschaft kommt es an. Den einstigen Wahlkampfslogan von Bill Clinton hat die Europäische Union in der Brexit-Krise für sich wiederentdeckt. Als Antwort auf den angekündigten Austritt der Briten haben die Regierungschefs der 27 übrigen Mitgliedsstaaten die Rückkehr auf den Wachstumspfad zu einer ihrer drei Prioritäten erklärt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, zentrale Aufgabe der EU sei schließlich stets gewesen, "dass sie den Menschen Wohlstand und Sicherheit geben muss."
Und: "Wir haben sehr viel über die drei Themen gesprochen: Arbeitsplätze, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Und ganz besonders auch unseren Fokus auf die jungen Menschen in Europa gesetzt."
Die EU soll für die Menschen attraktiver werden
Das Ziel ist formuliert: ein "neuer Impuls", der die EU erfolgreicher und für die Bürger wieder attraktiver macht. Auf dem geplanten Sondergipfel Mitte September in Bratislava werden sie womöglich schon eine Art Fahrplan vorlegen. Allzu gut stehen die Chancen jedoch nicht, dass dabei ein mutiges Konzept mit vielen neuen Ideen herauskommt. Gerade in der Finanz- und Wirtschaftspolitik bestehen trotz Brexit-Schock noch immer die alten Gegensätze.
Die Front verläuft im Wesentlichen zwischen der Bundesregierung und den Vertretern Südeuropas, die viel stärker von Eurokrise und allgemeiner Wachstumsflaute betroffen sind. Beim jüngsten Gipfel der vermeintlich Großen Drei – Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi - wurde das ziemlich deutlich.
Renzi wirbt für mehr Investitionen
Während Gastgeber Renzi unüberhörbar für ein Ende des strikten Sparkurses warb, für mehr Freiheit bei den Staatsausgaben und für Investitionen, die der schwächelnden Konjunktur auf die Sprünge helfen, trat die Kanzlerin auf die Bremse. Merkel verwies – wie schon während der gesamten Euro-Schuldenkrise – auf die geltenden Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts, die sie auch jetzt nicht ändern will.
Dazu sagte sie: "Ich glaube, dass der Stabilitätspakt eine Menge an Flexibilitäten beinhaltet, die wir klug anwenden müssen. Das ist Aufgabe der Kommission. Hier entscheidet nicht ein Mitgliedsstaat gegenüber dem anderen Mitgliedsstaat, sondern hier sind wir alle in einer Diskussion." Ob die Kanzlerin diese Position gegen den wachsenden Druck der Südländer noch lange wird halten können, ist fraglich.
Wahlen in Frankreich und Italien 2017
Sowohl Italien als auch Frankreich, wo im nächsten Frühjahr gewählt wird, haben mit massiven ökonomischen Problemen und starken euro-feindlichen Parteien zu kämpfen. Trotz unpopulärer Arbeitsmarktreformen entstehen kaum neue Stellen, die Erwerbslosigkeit bei Jugendlichen liegt bei 23 bzw. 36 Prozent. In Italien kommen die schwelende Bankenkrise und die Flüchtlinge hinzu; in Frankreich das Terrorproblem.
Eine weitere Verschärfung der Lage, so die Sorge in Brüssel, könnte das Anti-EU-Lager stärken. Da wäre es unter Umständen vernünftiger, die harte Linie zu überdenken und die Zügel ein wenig zu lockern. Dieser Ansicht ist auch Merkels Koalitionspartner, SPD-Chef Sigmar Gabriel, der kritisierte, dass "in der Vergangenheit immer nur über Stabilität geredet wurde und nicht über Wachstum und Arbeit."
Großbritannien fehlt Deutschland in Wirtschaftsfragen
Merkels Problem: Durch den Brexit hat Deutschland in der EU zwar mehr Gewicht, doch fällt ein wichtiger Verbündeter in Wirtschaftsfragen weg. Großbritannien hatte den Austeritätskurs der Kanzlerin immer unterstützt. Als Mitstreiter in Sachen Haushaltsdisziplin bleiben ihr nun nur noch Niederländer, Balten und Skandinavier.
Auch die EU-Kommission kann Merkel auf diesem Feld nicht als willigen Bündnispartner betrachten: Auf Empfehlung von Behördenchef Juncker wurden Spanien und Portugal gerade erst wieder von fälligen Strafzahlungen verschont, obwohl sie mehrmals gegen die vereinbarten Obergrenzen für Staatsdefizit und Schuldenquote verstoßen haben. Der zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici rechtfertigte dies mit dem "schwierigen wirtschaftlichen Umfeld". Im Ministerrat gab es keinen Widerspruch.
"Juncker-Plan" könnte mehr Mittel bekommen
Eine Möglichkeit, den offenen Konflikt zu vermeiden und dennoch ein Signal für mehr Wachstum zu setzen, bleibt freilich noch: Die 27 könnten den vor über einem Jahr gestarteten "Juncker-Plan" mit deutlich mehr Mitteln ausstatten.
Der Fonds für "strategische Investitionsprojekte" in den Bereichen Verkehr, digitale Infrastruktur, Energie, Bildung und Forschung, abgekürzt EFSI, mit dem EU-Kommission und Europäische Investitionsbank innerhalb von drei Jahren über 300 Milliarden Euro generieren wollen, befindet sich nach Auskunft der Brüsseler Kontrolleure "auf gutem Weg".
Kritiker finden Fonds zu klein
Rund 100 Milliarden Euro an privatem Kapital habe man schon einwerben können. 150.000 kleine und mittlere Unternehmen hätten profitiert. Kritiker beklagen zwar, dass der Fonds zu klein und von dem Geld bisher kaum etwas nach Süd- oder Osteuropa geflossen sei.
Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass das Konjunkturprogramm wohl bis über das Jahr 2018 hinaus verlängert wird. Für seinen Erfinder, Jean-Claude Juncker, wäre das ein willkommener Erfolg und zugleich eine Botschaft an alle EU-Bürger und den Rest der Welt: "Europa ist wieder zurück im Geschäft!"