Vor EU-Treffen zur Flüchtlingspolitik Festungen in Europa
Vor dem kleinen EU-Gipfel wird klar: In der Flüchtlingspolitik setzen die EU-Staaten immer stärker auf nationale Wege. Es ist häufiger von Zäunen die Rede als von einer gemeinsamen Lösung. Nur ein EU-Anwärter auf dem Balkan gibt sich offen.
Von Andreas Meyer-Feist, ARD-Hörfunkstudio Brüssel
EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker dürfte sich derzeit als Rufer in der Wüste fühlen. Nichts werde die Menschen auf dem Weg nach Europa aufhalten, mahnte Juncker schon im September im EU-Parlament: "Kein Meer, keine Grenze, keine Zäune ..."
Aber die Bereitschaft, auf ihn zu hören, nimmt spürbar ab. Mehr denn je ist die Rede von Zäunen. Ungarn machte den Anfang an der Grenze zu Serbien. Bulgarien rollte an der Grenze zur Türkei Stacheldraht aus.
Auch in Kroatien, Slowenien und in Österreich gelten Zäune als Option, zumindest als "letztes Mittel", um Menschen aus dem Land zu halten, vor allem jene, denen von vornherein keine Schutzbedürftigkeit zugesprochen wird oder deren Asylchancen als sehr gering gelten.
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz sagte dazu im ORF: "Wenn die Theorie der sinnlosen Zäune stimmen würde, dann frage ich mich aber auch, warum die Grenze zwischen der Türkei und Bulgarien funktioniert. Dort gibt es seit Jahren einen Zaun. Die Aussage, dass das nicht funktioniert, ist schlicht und ergreifend falsch!"
Was wird aus den Menschen hinter dem Zaun?
Aber wohin mit den Menschen, die hinter dem Zaun stehen? Wer versorgt sie dort, überprüft sie oder schickt sie zurück? Und wohin gehen diese Menschen dann? Diese Frage wird in Brüssel gestellt, ohne dass die Politiker, die Zäune bauen oder in Erwägung ziehen, darauf eine überzeugende Antwort präsentieren können.
Tatsächlich kommen über die türkisch-bulgarische Grenze viel weniger Menschen in die EU als über die Ägäis nach Griechenland. "Die Menschen suchen sich neue Wege", so die Erkenntnis der UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Schon seit Jahren ist die griechische Landgrenze zur Türkei kaum zu überwinden. Die Menschen kommen über den Seeweg nach Griechenland, auf die griechischen Inseln, dorthin, wo es bis jetzt noch keine durchweg gut funktionierenden "Hot Spots" zur Registrierung und Kontrolle der ankommenden Flüchtlinge gibt.
Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban sagt: Ein Europa der Zäune wird es solange geben, solange die Menschen nicht schon dort aufgehalten werden: "Was jetzt passiert, dafür haben die EU-Regierungschefs niemals die Erlaubnis von den Bürgern bekommen, nämlich so viele Migranten in die EU zu lassen. Diese Situation destabilisiert europäische Demokratien."
Europa macht dicht
Auch die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner verwendet inzwischen scharfe Formulierungen. Sie forderte am österreichisch-slowenischen Grenzübergang Spielfeld, "dass wir aus Europa eine Festung bauen, dass die EU-Außengrenzen ganz genau und dicht gesichert werden!"
An der griechischen EU-Außengrenze müsse jeder registriert werden "und dann im Falle der Schutzbedürftigkeit auf die Mitgliedstaaten der EU verteilt werden."
Weit am Ziel vorbei
Die österreichische Innenministerin trifft einen schwachen Punkt der EU. Bisher ist nicht klar, wohin schutzbedürftige Menschen am Ende kommen und was mit jenen geschieht, die als nicht schutzbedürftig gelten. Nur neun EU-Staaten von 28 haben mitgeteilt, insgesamt 854 Menschen aufzunehmen, rechnete eine Sprecherin der EU-Kommission nun vor.
Das ist eine geringe Zahl angesichts der beschlossenen Aufnahmequoten. Das Ziel ist, innerhalb der kommenden zwei Jahre 160.000 Menschen in Not aufzunehmen. Das sind ohnehin nicht alle, die schon den Weg in die EU gefunden haben. Aber schon damit tun sich viele EU-Staaten offenbar schwer. Ungarn will niemanden aufnehmen.
EU-Anwärter will sich beteiligen
Erstaunlich ist immerhin, dass inzwischen auch ein Nicht-EU-Land mitmachen will, das sich im Gegenzug Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen versprechen dürfte: "Wir haben unsere Entscheidungen schon getroffen: Wir sind bereit, uns am Quoten-System zu beteiligen", verspricht Serbiens Premier Alexandar Vucic. "Zu uns kommen die Menschen aus Mazedonien und aus Bulgarien. Serbien ist das Zentrum." Von seinen EU-Kollegen und von der EU-Kommission fordert Vucic: "Sagt uns nur, was wir tun sollen".
Das dürfte nicht einfach werden am Sonntag. Eine faire Verteilung der Menschen in der EU, so die Idee von Jean-Claude Juncker, hat derzeit wenig Chancen. Der Widerstand ist groß: "Es fehlt an Europa", klagte Juncker in einer viel beachteten Rede im EU-Parlament mit Blick auf die Migrationskrise schon im September. Viele EU-Staaten setzen auf nationale Konzepte, weil sie Europa nicht mehr sehen. Am Ende setzen sie auf Zäune.