Die Fahne der Europäischen Union (EU) spiegelt sich in einer Euro-Münze.

Finanzgipfel in Brüssel Europa streitet ums Geld

Stand: 20.02.2020 02:13 Uhr

Wer stopft die Finanzlöcher, die durch den Brexit entstehen? Darüber streiten die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Sondergipfel zum milliardenschweren Haushaltsplan für die nächsten sieben Jahre.

Geht es nach Ratspräsident Charles Michel, dann ist die Zeit reif: Mit "gesundem Menschenverstand und Entschlossenheit", so der kompromisserprobte Belgier, sei eine Einigung möglich. In den vergangenen Wochen hat er mit allen wichtigen Akteuren "Beichtstuhl"-Gespräche geführt, fleißig gerechnet und schließlich einen 53 Seiten langen Entwurf vorgelegt.

Nun seien die Staats- und Regierungschefs am Zug: "Digitale Agenda, Green Deal, Sicherheit, Verteidigung der Freiheit und unserer Werte. Wir haben klare Ideen. Aber das reicht nicht. Wir brauchen auch Mittel und Methode, diese Projekte umzusetzen - kurzfristig und auf lange Sicht", sagt Michel.

Haushaltsplan legt den Kurs auf Jahre hinaus fest

Instrument dafür ist der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) für die Jahre 2021 bis 2027. Eine Art Super-Haushaltsplan, der die langfristigen Prioritäten definiert und Obergrenzen für die Ausgaben in den jeweiligen Bereichen setzt. Wie hoch das Budget ausfällt und wie das Geld verteilt wird, legt den Kurs der EU auf Jahre hinaus fest - politisch, wirtschaftlich und überhaupt: "Wenn Europa in der Lage ist, einstimmig und bei unterschiedlichen Schwerpunkten diesen Haushaltsplan zu beschließen, wäre dies für unsere Bürger und für die Welt ein Zeichen europäischer Handlungsfähigkeit in denkbar schwieriger Zeit", beschwor der frühere Haushaltskommissar Günther Oettinger die Mitgliedsstaaten schon vor Monaten. Wohl wissend, dass die Verhandlungen von jeher ein zähes Feilschen waren, begleitet von einer Menge Theaterdonner.

Mehrjähriger EU-Finanzrahmen
Mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) legt die EU Obergrenzen und Schwerpunkte ihrer Haushalte fest. Für einen Zeitraum von sieben Jahren werden unter anderem die maximalen Gesamtausgaben und die Verteilung auf wichtige Aufgabenbereiche vereinbart. Innerhalb dieser Vorgaben müssen sich später die jährlichen Etats bewegen.

Wie der MFR zustande kommt, ist im Vertrag von Lissabon festgelegt. Es handelt sich im Kern um eine Verordnung. Den Vorschlag dafür legt die EU-Kommission vor. Im nächsten Schritt verhandeln die Regierungen der EU-Staaten über einen Kompromiss, sie können die MFR-Verordnung nur einstimmig beschließen. Zuvor muss aber auch das Europaparlament zustimmen. Wegen des drohenden Vetos beeinflussen die Änderungswünsche der Parlamentarier die Beratungen der Regierungen der EU-Staaten. Kommt es nicht rechtzeitig zu einer Einigung, gelten die Obergrenzen des letzten Jahres aus dem vorangegangenen MFR zunächst weiter.

Verzwickte Ausgangslage wegen Brexit

Diesmal könnte der große Poker um Europas Finanzen sogar noch etwas länger dauern, denn die Ausgangslage ist besonders verzwickt. Durch den Austritt des zweitstärksten Nettozahlers Großbritannien klafft ein gewaltiges Loch in der Gemeinschaftskasse: Auf 60 bis 75 Milliarden Euro, über sieben Jahre, schätzen Experten die Brexit-Lücke, die gefüllt werden muss. Zugleich braucht man mehr Mittel für neue Aufgaben, mahnt auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: "Wie gehen wir um mit dem Klimawandel, wie gehen wir um mit der Digitalisierung? Ich möchte, dass wir ein Konzept haben für Migration, das nachhaltig ist, wirksam, aber auch menschlich."

Weil sich das alles, nach Ansicht der Experten, mit Sparen und Umschichten allein kaum realisieren lässt, empfiehlt Ratspräsident Michel, das Sieben-Jahres-Budget moderat zu erhöhen und bei den traditionell dicksten Posten - Landwirtschaft und regionale Förderung - etwas zu kürzen. Seine Zielmarke: 1,074 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. In absoluten Zahlen: 1090 Milliarden Euro - zirka 155 Milliarden Euro pro Jahr.

Brexit-Befürworter feiern den britischen Austritt aus der EU.

Durch den britischen Austritt aus der EU klafft ein Loch in der Gemeinschaftskasse.

Deutschland muss deutlich mehr bezahlen

Das wäre etwas mehr als bisher, aber deutlich weniger als zum Beispiel das EU-Parlament fordert. Es würde aber auch bedeuten, dass Nettozahler wie Deutschland, das mit den Niederlanden und Österreich zum sogenannten "Club der Sparsamen" zählt, einige Milliarden mehr pro Jahr berappen müssten. Nettoempfänger wie Polen, Rumänien oder Ungarn, bekämen weniger heraus.

"Wir wissen trotzdem, dass wir natürlich auch ein Interesse an einem Budget haben, also wird man auch nicht mit Null Kompromissbereitschaft in alles hineingehen", beschwichtigt Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das heikle Thema gerne noch vor der deutschen EU-Ratspräsidentschaft - in der zweiten Jahreshälfte - vom Tisch hätte.

Geringe Chancen auf Durchbruch

Die Chancen, dass ihr und den 26 anderen Staats- und Regierungschefs schon diesmal der Durchbruch gelingt, stehen nach Einschätzung der meisten Beobachter allerdings schlecht. Zum einen fiel die Entscheidung bis jetzt noch nie in Runde eins; zum anderen stößt Michels Haushaltsentwurf auf breite Kritik.

Während strukturschwächere Länder, genannt "Freunde der Kohäsion", um ihre Fördergelder bangen, ist aus dem Bundesfinanzministerium zu hören, dieser Etat sei nicht modern genug und belaste Deutschland in unfairer Weise. "Es kann nicht sein, dass es von Runde zu Runde immer weniger wichtig wird, was in diesem Haushalt ausgegeben wird, und nur noch jeder seine eigenen Interessen wahrnimmt und dann was wenig Zukunftsfähiges herauskommt. Also muss nochmal neu angesetzt werden", sagt Bundesfinanzminister Olaf Scholz.

Hinzu kommt, dass die Fronten im Rat seit Monaten verhärtet sind und sich niemand aus der Deckung wagt. Sich bewegen, sprich: Zugeständnisse machen, müssen am Ende aber alle.

Holger Romann, Holger Romann, BR Brüssel, 19.02.2020 20:45 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 20. Februar 2020 um 06:00 Uhr.