EU-Gipfel zum Ukraine-Krieg Vorbei mit europäischer Einigkeit?
Der heute beginnende EU-Gipfel wird vom Streit über die Pläne für ein Öl-Embargo gegen Russland überschattet. Eine Einigung ist nicht in Sicht. Steht die Einigkeit gegen Moskau vor dem Aus?
An ihnen führt derzeit kein Weg vorbei: Eine Gruppe aus rund 20 Ukrainerinnen und Ukrainern protestiert seit Kriegsausbruch Ende Februar regelmäßig in Brüssel. Oksana Bulda ist eine von ihnen. Sie kann nicht verstehen, dass die EU-Mitgliedsländer sich beim Öl-Embargo bisher nicht einigen konnten.
"Wir sind sehr besorgt über den EU-Ansatz derzeit. Erst hieß es, es solle ein komplettes Öl-Embargo gegen Russland geben, dann gab es Probleme", so Bulda. "Über Gas reden sie derzeit nicht einmal. Für uns ist es wirklich wichtig, dass dieses Thema besprochen wird."
Besonders Ungarn aber auch andere Länder stellten sich bei dem Thema jedoch zuletzt quer und verweisen auf ihre starke Abhängigkeit vom russischen Öl. So wie die ungarische Justizministerin Judit Varga: "Ungarn hat den Partnern gegenüber klargestellt, dass wir in einer besonderen Situation sind, wir haben keinen Meerzugang. Das ist eine andere Situation als für andere Länder."
Mögliche Ausnahmen für Embargo
Möglich also, dass über Ausnahmen beim Ölembargo für die Länder gesprochen wird, die es rein aus Pipelines beziehen und nicht per Schiff mit Öl aus anderen Staaten als Russland beliefert werden können. So schlägt es nun die Kommission als Kompromiss vor. Die EU-Botschafterinnen und Botschafter wollten sich vor dem Start des Gipfels noch einmal über dieses Thema beugen.
Mögliche Ausnahmen würden aber auch bedeuten, dass es vorbei wäre mit der Einigkeit, die die EU bei diesem Gipfel symbolisieren möchte. Noch Ende März, als sich die Mitglieder der sieben reichsten Industrienationen, der NATO und der EU-Länder in Brüssel trafen, betonte EU-Ratspräsident Charles Michel: "Wir müssen die Sanktionen umsetzen, um Druck auf den Kreml auszuüben. Zusammen mit den G7, zusammen mit der NATO und den EU-Mitgliedsstaaten werden wir hart arbeiten, um eine steinharte Einigkeit herstellen, weil dieser Krieg enden muss."
Auch Wiederaufbau der Ukraine Thema
Der Krieg allerdings dauert nun schon über drei Monate. Per Video zugeschaltet werden soll am Abend deshalb auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Er richtete seine Kritik beim vergangenen Gipfel Ende März bereits deutlich an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban:
Hör zu Viktor, weißt du, was in Mariupol passiert? Und du zögerst trotzdem, die Sanktionen umzusetzen oder nicht? Und du zögerst, ob Waffen geliefert werden sollen oder nicht? Und du zögerst, ob du Geschäfte mit Russland machst oder nicht? Es ist nicht die Zeit zu zögern, es ist die Zeit, um Entscheidungen zu treffen. Wir glauben an die Europäische Union! Ruhm der Ukraine!
Konkrete Entscheidungen sind nicht nur bei einem möglichen Öl-Embargo gefragt: Auch die Frage, wie die EU-Länder künftig ihre Einkäufe von Flüssiggas und Wasserstoff sowie ihre Militärausgaben besser koordinieren können, wird Thema am zweiten Tag des Gipfels in Brüssel sein. Eine zentrale Frage richtet sich vor allem darauf, wie ein Wiederaufbau der Ukraine finanziert werden soll, heißt es aus EU-Kreisen.
Lösung gegen Hungersnot gesucht
Umtreiben dürfte die 27 Staats- und Regierungschefs und -chefinnen außerdem die drohende Hungersnot von Millionen von Menschen, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent. Russland hält die Häfen im Osten der Ukraine besetzt, der dort gelagerte Weizen kann nicht exportiert werden. Sie wollen deshalb auch darüber sprechen, wie sichere Korridore per Schiff oder über Schiene und Straße gewährleistet werden können. Macky Sall, der senegalesische Präsident und Vorsitzende der Afrikanischen Union wird dazu per Video zugeschaltet sein.
Klar ist: Die Sanktionen gegen Russland wird die EU dafür nicht aufgeben, das hatte der russische Präsident Putin zuletzt als Gegenleistung gefordert.