Asylkompromiss in der EU "Europa braucht klare Prinzipien"
Wer Schutz braucht, soll ihn in der EU bekommen - wer nicht, soll sich erst gar nicht auf den Weg machen, meint Europa-Experte Gerald Knaus im tagesschau24-Interview zur Asyleinigung der EU.
tagesschau24: Die EU hat sich auf eine Verschärfung der Asylpolitik geeinigt. Ist das ein echter Durchbruch?
Gerald Knaus: Es ist zumindest eine Grundlage, weil festgestellt wurde, dass das Schließen von Grenzen innerhalb der EU niemandem nützt und auch nicht funktionieren würde. Man hat Kompromisse gemacht, man hat die Idee von Zentren außerhalb der EU in die Erklärung aufgenommen. Allerdings, wenn man genau hinsieht, merkt man: Hier soll eine Idee geprüft werden.
Derzeit ist nicht klar, wie solche Zentren rechtlich, praktisch und politisch funktionieren können. Es gibt ja noch kein Land, das sie anbietet. Viel interessanter ist die Idee, in der EU gemeinsam schneller Asylanträge zu prüfen und anerkannte Flüchtlinge freiwillig zu verteilen. Darauf ließe sich aufbauen. Das ist möglicherweise ein Durchbruch hin zu einer flexiblen Solidarität.
tagesschau24: Wie sollte die europäische Antwort auf diese Flüchtlingsfrage Ihrer Meinung nach aussehen?
Gerald Knaus: Das Allerwichtigste ist, dass Europa klare Prinzipien hat und sich die Instrumente gibt, diese in der Praxis umzusetzen. Daran hat es oft gemangelt. Das Prinzip muss sein, dass wir jedem, der die EU erreicht, die Chance geben zu beweisen, dass er Schutz braucht. Und dass wir kein "Pushback" machen, also niemanden, der in Gefahr geraten könnte, ohne Prüfung irgendwo hin zurückschicken. Dazu brauchen wir Partner.
Zweitens sollten wir auch klar sagen: Alle, die keinen Schutz brauchen, sollten sich gar nicht erst auf den Weg machen. Und der Weg, der menschenrechtlich, praktisch und politisch möglich ist, ist eine Einigung mit Herkunftsländern. Wir bieten ihnen etwas an und sagen: Nehmt eure Bürger sofort zurück. Dann würde der Zustrom sehr schnell zum Erliegen kommen.
Der Test, ob diese schönen Worte umsetzbar sind, liegt in der Ägäis, auf den griechischen Inseln, wo wir untragbare Zustände und immer noch viel zu langsame Asylverfahren haben. Wenn wir dort zeigen können, wie so etwas funktionieren würde, und dann den Griechen diejenigen abnehmen, die Schutz bekommen, wäre die EU einen Riesenschritt weiter.
tagesschau24: Die Sammellager, die die EU plant, sollen in Nordafrika entstehen. Was halten Sie davon - und welche Länder kommen überhaupt infrage?
Gerald Knaus: Ich halte das für eine sehr gefährliche Idee. Wir haben überhaupt keine Klarheit nach Jahren, in denen das vorgeschlagen wird - unter Schlagworten wie "australische Lösung". Um es ganz klar zu sagen: Australien hat sein Problem nur deswegen durch Auslagerung auf die Pazifikinsel Nauru lösen können, weil dort die Leute extrem schlecht behandelt wurden. Australien musste für diejenigen, die auf die Insel Manus gebracht wurden, in einem Ausgleich 40 Millionen Euro zahlen - 1500 Leuten, weil sie so schlecht behandelt wurden. Das kann kein europäisches Vorbild sein.
Es kann auch keine Idee sein, dass wir in Nordafrika irgendwelche Gefängnisse schaffen, in denen Leute auf Dauer eingesperrt werden. Ich sehe nicht, warum Asylverfahren dort schneller gehen sollten als in der EU. Es ist auch nicht klar, was mit denen passiert, die abgelehnt werden - ob die auf diesen Inseln einfach wie Robinson Crusoe auf alle Ewigkeit bleiben sollen. Das sind vollkommen undurchdachte Konzepte. Viel realistischer, viel wichtiger ist, dass wir in der EU in der Lage sind, faire Asylverfahren schnell durchzuführen.
tagesschau24: Dieser deutsche innenpolitische Streit hat jetzt - so wie es aussieht - auf europäischer Ebene den Durchbruch bewirkt. Wie schätzen Sie das ein?
Gerald Knaus: Ich glaube, man hätte genau die gleichen Ergebnisse haben können ohne diesen Streit. Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze schienen für ganz kurze Zeit manchen plausibel - bis zu dem Zeitpunkt, als der österreichische Innenminister und dann der österreichische Bundeskanzler klar gesagt haben: Nicht mit ihnen. Das Problem ist für Deutschland, für Österreich, für Italien, für alle diese Länder: Ohne die Bereitschaft der Nachbarn kann man unilateral eigensinnig keine Lösung finden.
Wenn etwa Österreich sagt "Ja, die Deutschen können schon alle abweisen, die in Griechenland oder Ungarn registriert wurden - aber nicht nach Österreich", dann sind wir wieder beim Dublin-System. Denn das konnte Deutschland schon immer machen. Es hat nur nicht funktioniert. Die Bundesregierung kann jetzt immer noch auf das dringen, was wirklich wichtig ist: eine kohärente, humane und effiziente Politik an der wirklichen Außengrenze der EU. Die liegt nicht in Bayern, die liegt in der Ägäis, an der Grenze zur Türkei und im Mittelmeer.
Das Interview führte Karolin Kandler, tagesschau24