Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft Ehrgeiziges Polen steckt sich hohe Ziele
Heute übernimmt Polen erstmals die EU-Ratspräsidentschaft - und die selbst gesteckten Ziele sind hoch. Die Wirtschaft soll angekurbelt, die Gemeinschaft erweitert, die Energiepolitik vereinheitlicht und Lebensmittel sicher werden. Rufe nach mehr Bescheidenheit werden bereits laut.
Von Ludger Kazmierczak, ARD-Hörfunkstudio Warschau
Nach Slowenien, Tschechien und Ungarn ist Polen das vierte junge EU-Mitgliedsland, das die Ratspräsidentschaft übernimmt. Staatschef Bronislaw Komorowski ist davon überzeugt, dass die polnische Bilanz besser ausfallen wird als die der wenig erfolgreichen Vorgänger. "Unser großer Vorteil gegenüber allen anderen Ländern ist die enorm große Unterstützung für die EU-Mitgliedschaft in unserer Gesellschaft", sagt Komorowski. "83 Prozent der Polen haben erklärt, zufrieden mit der Rolle Polens in Europa zu sein. Das ist ein gigantisches Kapital und zeigt, wie die polnische Ratspräsidentschaft im Lande aber auch außerhalb Polens wahrgenommen wird."
Als ökonomischer Klassenprimus der vergangenen Jahre will Polen dazu beitragen, die europäische Wirtschaft anzukurbeln. Premier Donald Tusk fordert daher einen aufgestockten EU-Haushalt, aus dem Mittel für Investitionen bereitgestellt werden können.
Pläne, die bei den großen Nettozahlern Deutschland, Frankreich und Großbritannien auf wenig Gegenliebe stoßen. "Wir möchten, dass der Haushalt traditionsgemäß wieder erhöht wird. Dabei geht es sowohl um den Etat für 2012 als auch um den Finanzrahmen bis 2020", erläutert Tusk. Man sei sich darüber im klaren, dass mit den Nettozahlern ungewöhnlich hart darum gerungen werden müsse. Daher werde es "eine der Hauptaufgaben der polnischen Ratspräsidentschaft sein, die Grundlagen für eine Verständigung aufzubauen", so Tusk.
EU-Subventionen versus Haushaltsdisziplin
Während Polen außerdem für die Beibehaltung der großzügigen EU-Subventionen für die ärmeren Regionen Europas plädiert, drängt vor allem Großbritannien in Zeiten knapper Kassen auf mehr Haushaltsdisziplin und Einsparungen. Ums Geld dürfte also heftig diskutiert werden.
Ganz oben auf der Prioritätenliste der polnischen Regierung steht eine engere Partnerschaft mit den östlichen Nachbarn und die Erweiterung der Union. Tusk gibt sich zuversichtlich: "Wir bauen darauf, dass wir in der Zeit unserer Präsidentschaft den Beitrittsvertrag mit Kroatien unterzeichnen können. Und zwischen der EU und der Ukraine soll endlich eine Freihandelszone geschaffen werden." Das könnte seiner Meinung nach auch ein Signal für andere Länder wie Moldawien, Montenegro und Serbien sein. "Und natürlich wollen wir Schengen behüten, denn wir Polen haben lange darauf gewartet, ohne Grenzen reisen zu dürfen."
Können die selbst gesteckten Ziele erreicht werden?
Nicht nur wegen der neu entfachten Atomdebatte wird die Energiepolitik ein weiteres zentrales Thema der kommenden Monate sein. Da Polen bei Energieimporten unabhängiger von Russland werden möchte, strebt das Land eine einheitliche, von Brüssel aus koordinierte Energie-Außenpolitik an. Und nach der EHEC-Epidemie in Deutschland hat Warschau auch die grenzüberschreitende Sicherheit von Lebensmitteln auf die Agenda gesetzt.
Reichlich Ziele, reichlich Pläne - fast etwas zu viel des Guten, meint der EU-Experte Piotr Kaczyński: "Die Polen sind zu ehrgeizig, sie stellen sich zu hohe Ziele. Hier wäre ein bisschen mehr Bescheidenheit angebracht." Die Staaten würden in der Regel danach beurteilt, welche selbst gesteckten Ziele sie letztlich erreichen. Kaczyński: "Wenn man sich bescheidenere Ziele setzt, stellt sich der Erfolg leichter ein."