EU-Gipfel in Rom "Wir dürfen nicht auf den Langsamsten warten"
Wie geht es weiter mit Europa? Das ist die zentrale Frage beim EU-Gipfel in Rom. Für EVP-Fraktionschef Weber ist die Union trotz aller Krisen ein großartiges Projekt - dringend nötig sei allerdings ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, erklärt er im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Am Wochenende werden in Italien die Römische Verträge gefeiert, doch Europa ist unter Druck. Brexit, Rechtspopulismus, EU-Gegner wie Donald Trump im Westen und Wladimir Putin im Osten. Und manche EU-Länder scheinen eher gegen als mit Brüssel zu arbeiten. Wird die EU überleben?
Manfred Weber: Ja, sie wird überleben. Sie muss überleben. Wir sollten uns daran erinnern, was dieses Europa in den letzten 60 Jahren so erfolgreich zu dieser einmaligen Freiheits- und Wohlstandgemeinschaft gemacht hat. Unsere verbindenden Werte sind Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Wir müssen diese europäischen Prinzipien wieder in den Vordergrund rücken, weil wir Staaten haben, die vieles in Frage stellen - siehe Polen. Was die Regierung dort anstößt, bereitet uns große Sorgen. Doch auch in dem Fall ist es gut, dass es die EU gibt, die mit der EU-Kommission jetzt prüft, wie es um die Rechtsstaatlichkeit in Polen steht, um unsere gemeinsamen Werte im Inneren zu verteidigen.
"Klartext reden"
tagesschau.de: Dennoch hatte man lange den Eindruck, dass beispielsweise die polnische Regierung ungehemmt ihren Staat aushöhlen konnte.
Weber: Was müssen offen und ehrlich Klartext reden. Ich bedauere es beispielsweise, dass auf den diversen EU-Gipfeln noch nie über die inneren polnischen Fragen gesprochen wurde. Man beauftragt zwar die Kommission, sich darum zu kümmern, aber wenn die Chefs zusammenkommen, spielt das Thema keine Rolle. Zur europäischen Innenpolitik muss auch gehören, dass man es nicht mehr weg schaut, wenn ein Land sagt, "das ist meine innenpolitische Angelegenheit". Wenn Grundwerte in Frage gestellt werden, geht heute alle an.
tagesschau.de: Warum macht es so oft den Anschein, als würde Brüssel tatenlos zuschauen, wenn manche Regierungen die Werte Europas geradezu sabotieren, indem sie beispielsweise die Justiz aushöhlen?
Weber: Die EU hat nicht das Recht, über Verfassungen der Mitgliedsstaaten zu entscheiden - und das ist auch gut so. Es wäre auch in Deutschland nicht vorstellbar, dass Brüssel über das Grundgesetz mitredet. Und wenn beispielsweise die ungarische Fidesz-Partei nach einer demokratischen Wahl eine Zweidrittelmehrheit hat, dann dürfen sie natürlich auch die Verfassung ändern. Das ist die Rechtslage. Was wir brauchen, ist mehr gesellschaftliches Engagement in ganz Europa. So haben in Polen, oder auch in Rumänien, viele Hunderttausend Menschen demonstriert, weil in ihrem Land etwas schief läuft. Bestimmte innere Angelegenheiten können und dürfen nicht von außen verordnet werden. Europa muss gelebt werden.
Für Europa auf die Straße gehen: "Pulse of Europe"-Kundgebung in Frankfurt
Insofern freue ich mich auch, dass jetzt in vielen Städten mit der "Pulse of Europe"-Bewegung so viele Menschen auf die Straße gehen und den Populisten und Anti-Europäern in Europa die Stirn bieten. Europa ist kein Eliten-, sondern ein Bürgerprojekt. Die Menschen müssen es wollen, dass wir in einem freien und offenen Europa leben. Nur dann kann die Politik es auch verteidigen.
Drei erklärte EU-Gegner: Geert Wilders, Marine Le Pen und Frauke Petry
"Trump und Putin wollen ein schwaches Europa"
tagesschau.de: Ändert sich da gerade etwas in den Köpfen? Oder sind die Pro-Europäer schlicht aus ihrer Lethargie erwacht?
Weber: US-Präsident Trump will offensichtlich ein schwaches Europa. Er hat den Brexit begrüßt und sich offen dafür ausgesprochen, dass andere folgen sollen. Putin will ein schwaches Europa, weil er machtpolitisch denkt. Im Inneren haben wir die Populisten wie Marine Le Pen und Geert Wilders, die ein schwaches Europa wollen. Diese Bedrohungen führen jetzt dazu, dass viele Menschen nachdenken und sich des Wertes dieser Einheit bewusst werden. Das ist eine schöne Entwicklung.
Dabei müssen wir bestimmt nicht alles, was in Europa heute Alltag ist, gut finden. Europa ist eine politische Ebene, die auch kritisiert werden muss - und es gibt Dinge, die falsch laufen. Aus diesem Grund hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auch eine Debatte über die Zukunft der EU angeschoben.
"Nicht von Populisten die Geschwindigkeit diktieren lassen"
tagesschau.de: Und Juncker hat das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten wieder ins Spiel gebracht.
Weber: Es geht darum: Wir dürfen nicht mehr auf den Langsamsten warten. Wenn bestimmte EU-Staaten bei der Verteidigung gemeinsam Ressourcen bündeln wollen - also in Richtung Europäische Armee gehen wollen - dann sollen die das machen können. Es darf nicht sein, dass derjenige, der blockieren will, alle anderen aufhält. Genauso klar ist aber: Es gibt nur ein Europa, nicht eines erster und eines zweiter Klasse.
tagesschau.de: Ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten ist also unvermeidbar?
Weber: Ich wünsche mir, dass Europa zusammenhält und dass alle 27 eine gemeinsame Zukunft haben. Aber ich sage auch, dass wir uns von Populisten wie einem Kaczynski in Polen nicht die Zukunft diktieren lassen. Wenn die anderen vorangehen wollen, sollen sie es machen. Wer starke Nationen will, der muss ein starkes Europa wollen. In einer globalisierten Welt bekommen einzelne Nationen nur noch über Europa Einfluss auch ein Herr Kaczynski wird gezwungen sein, dies seinen Landsleuten zu erklären.
"Die EU ist die Grundlage für unseren Wohlstand"
tagesschau.de: Wie würden Sie einem deutschen Durchschnittsbürger erklären, warum die EU gut für ihn ist?
Weber: Europa ist vor allem eine Wirtschaftsunion. Über die offenen Märkte verkaufen wir unsere deutschen Produkte in ganz Europa. Eine funktionierende EU ist also die Grundlage für unseren Wohlstand. Davon profitiert jedermann. Zudem gibt es eine Fülle von Alltagsthemen, wie die Abschaffung der Roaming-Gebühren. Wir haben eine Vielfalt von sauberen und gesunden Lebensmitteln in unseren Supermärkten wie nie zuvor. Vor kurzem haben wir ein Gesetz beschlossen, das großen US-Internetkonzerne zwingt, Daten stärker zu schützen. So etwas kann die EU durchsetzen und damit im Alltag der Menschen Positives bewirken. Einzelne Staaten sind zu so etwas nicht mehr in der Lage. Europa ist heute eine Frage der Selbstbehauptung.
tagesschau.de: Was wünschen Sie sich für das Europa der Zukunft?
Weber: Ich wünsche mir, dass wir uns alle stärker als Europäer sehen. Ich selbst fühle mich als stolzer Bayer, ich bin deutscher Staatsbürger und ich bin überzeugter Europäer. Ich will mir von keinem Populisten einreden lassen, dass dies ein Widerspruch ist. Ich wünsche mir, dass wir zu schätzen lernen, welche Vielfalt wir haben. Der europäische Kontinent ist so reich und schön und mannigfaltig. Und ich wünsche mir, dass wir in internationalen Fragen unsere europäische Lebensweise, also die gemeinsamen Vorstellungen darüber, was richtig und falsch ist, verteidigen. Diese Lebensweise ist einzigartig. Sie ist der "European Way of Life". Und den müssen wir in einer globalisierten Welt verteidigen.
Das Interview führte Karolin Wulf, tagesschau.de