Baerbock in der Ukraine Trümmer, Träume und ein Drohnenalarm
Zwei Tage lang besucht Außenministerin Baerbock die Ukraine. Die Politikerin will damit ein Zeichen der Unterstützung senden. Doch dann holt sie der Kriegsalltag ein - und die Dienstreise endet abrupt.
Eigentlich war der Besuch schon fast zu Ende. Zwei Tage Südukraine. Und dann musste doch alles ganz schnell gehen. Gerade erzählte der Projektleiter, wie sie hier bei Mykolajiw, jener von russischen Raketen zerbombten sogenannten Stadt auf der Welle, täglich eine Million Liter Trinkwasser für 200.000 Menschen entsalzen, da wurden Annalena Baerbocks Personenschützer nervös. "Alle in die gepanzerten Fahrzeuge. Jetzt" Das Kommando war eindeutig.
Die Außenministerin war schnell verschwunden. Der Tross aus Delegation und Presse verteilte sich auf knapp zehn gepanzerte SUV und brauste los. Ukrainische Sicherheitskräfte hatten am Himmel über der besichtigten, solarbetriebenen Entsalzungsanlage eine Supercam-Drohne der Russen entdeckt. Eine beliebte Aufklärungsdrohne der russischen Armee, eingesetzt, um Ziele und Koordinaten auszuspähen.
Drohnen - trauriger Alltag in Mykolajiw
In Mykolajiw trauriger Alltag. Elf Mal hatten sie allein in der Nacht davor Luftalarm gehabt. Jetzt aber galt die Warnung der Außenministerin. Die Einwohner wissen: Wer eine Aufklärungsdrohne sieht, die an einem Punkt verweilt, sollte bald mit einem Angriff rechnen. Das Fluggerät hatte offenbar den Aufenthaltsort der deutschen Außenministerin nahe Mykolajiw ausgemacht.
Dass die Aufklärungsdrohne der Kolonne der deutschen Außenministerin auch noch folgte, machte die Sache besorgniserregender. Die Personenschützer entschieden, nachdem die Drohne abdrehte, die Fahrt zügig fortzusetzen. Das Kalkül: Die Kolonne war als bewegliches Ziel offenbar weniger gefährdet.
Der Besuch in Mykolajiw endete vorzeitig, weil es die ukrainischen Sicherheitskräfte so entschieden. Mit hohem Tempo raste die Kolonne Richtung moldawischer Grenze, während Kilometer hinter ihnen in Mykolajiw Luftalarm ausgelöst wurde. Ende einer Dienstreise der etwas anderen Art, die zwei Tage vorher in New York begonnen hatte.
Kuleba fliegt im deutschen Flieger mit
"Danke für die Mitfahrgelegenheit", hatte Dmytro Kuleba, der ukrainische Außenminister, Baerbock zugerufen. Baerbock hatte den 43-Jährigen im Luftwaffenairbus aus New York von den UN kommend mit nach Berlin genommen. Mitfahrgelegenheit? Mancher fühlte sich an den damaligen Ausspruch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erinnert, den westliche Staaten zu Kriegsbeginn ausfliegen wollten. Der hatte damals trocken abgewinkt. Er brauche keine Mitfahrgelegenheit, er brauche Munition.
Bis heute ist das so geblieben. Und im UN-Sicherheitsrat hatten Baerbock und Kuleba am Freitag der Welt erneut beschrieben warum. Sie hatten von Wladimir Putins Verbrechen gesprochen. Kindesentführungen, Vergewaltigungen, Terrorbombardement. Kuleba hatte als Beispiel ausgerechnet Odessa genannt, wo am Abend zuvor eine russische Drohne drei Menschen in ihrem Wohnhaus getötet hatte. Zivilisten. Unschuldige Bürger.
Da, in New York, wussten nur wenige, dass Baerbock und Kuleba am Samstag früh via Berlin und Moldau zusammen in eben jenes Odessa reisen wollten, gemeinsam in die südukrainische Hafenstadt, die vom UNESCO-Welterbe eigentlich geschützt und doch von Putins Bomben wieder und wieder entstellt wird. Stunden später stehen Baerbock und Kuleba an jenem Samstag, dem zweiten Jahrestag des Kriegsbeginns, in Palanca am ukrainisch-moldawischen Grenzübergang. Und beide berichten bewegt von ihren ganz eigenen "Grenzerfahrungen" seit Russland den ukrainischen Nachbarn überfiel.
Persönliche Erlebnisse
Die deutsche Außenministerin war schon im März 2022 hier gewesen, Hunderte Ukrainer strömten damals hinaus aus dem Land. Auf der Flucht vor den Russen. Als damals eine Frau mit zwei Kindern im Auto für die deutsche Ministerin und Mutter Baerbock den Kofferraum öffnete, "hab ich weinen müssen", erinnert sich Baerbock. Kinderspielzeug. Kinderkleidung. "Es sah aus wie mein Familienauto. Da wusste ich. Das hier hätte auch ich sein können."
Kuleba, der sonst so nüchterne, promovierte Jurist, hat auch eine Grenzgeschichte zu erzählen. Just auf den Tag genau vor zwei Jahren nämlich, am Tag des Kriegsbeginns, stand er ebenfalls an der ukrainischen Grenze und auch damals kam er wie jetzt direkt aus New York. "Tausende kamen mir entgegen, wollten raus, nur mein Auto fuhr in die Ukraine", sagt er.
Jetzt aber, zwei Jahre später, fährt er wieder mit einem Auto in die Ukraine. "Aber dieses Mal mit einer Freundin an meiner Seite", sagt er. Baerbock und Kuleba. In diesem Moment mehr als nur Ministerkollegen. Beide glauben an Europa und beide zeigen am Grenzübergang auf die Europaflagge, die dort neben der ukrainischen weht. "Ein hoffnungsvolles Zeichen, eigentlich", meint Baerbock.
"Deutsche Waffen retten Leben"
Dass sie überhaupt nach Odessa gekommen ist an diesem Tag, sei eine große Geste meint der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksse Makeiev im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Er begleitet Kuleba in die Südukraine. Stolz könnten die Deutschen auf das sein, was sie an Hilfe geleistet hätten.
Stolz? Es begann einst mit 5000 Helmen. Seither hat die Bundesregierung einen langen Weg und eine steile Lernkurve zurückgelegt. Deutsche Flugabwehrsysteme schützen auch Odessa und Mykolajiw. "Da könnt ihr Deutschen sehen, was es heißt, wenn wir sagen: Deutsche Waffen retten Leben", sagt Makeiev lakonisch.
Sollten die Ukrainer, sollten der Botschafter und der ukrainische Außenminister trotzdem wütend über die Zögerlichkeit der deutschen Seite etwa bei der Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern sein, an diesem zweiten Jahrestag ist nicht die Zeit für Vorwürfe. Zumal Baerbock vorauseilend einräumt, erst zu zögerlich und dann zu spät gehandelt zu haben. Und auch jetzt weiß die Ministerin: Es ist immer zu wenig, was die Ukraine an Waffenhilfe erhält. Ein paar hundert Kilometer von Odessa entfernt kämpfen und sterben Ukrainer, weil ihnen Munition und Panzer ausgehen.
Erfolgsgeschichten aus Odessa
Baerbock redet lieber von den Erfolgsgeschichten. Vom Hafen in Odessa etwa, wo gerade mit Bundesgarantien deutsche Investitionen dafür sorgen, dass immer mehr Getreide, mehr Container über das Drehkreuz Odessa und das Schwarze Meer den Weltmarkt erreichen. Ein Hafen, der geschützt wird von Patriot-Abwehrsystemen und Gepardpanzern.
In Mykolajiw, zwei Autostunden näher an die Front, steht die Außenministerin am Sonntag vor der Ruine des Verwaltungsgebäudes. Im März 2022 an einem Dienstag um 8:45 Uhr schlug hier eine russische Rakete in das neunstöckige Gebäude ein. 37 Menschen starben. In der Mitte des Gebäudes klafft seither eine riesige Lücke, Symbol für Putins Terror sagte Baerbock.
Aber auch Symbol für die Widerstandskraft der Ukrainer, die zwar müde seien, sagt der ukrainische Botschafter Makeiev, aber auch stark. Wen er von Kriegsmüdigkeit der Deutschen höre, muss sich der Botschafter zwingen, höflich zu bleiben. "Sie sind vielleicht kriegsberichterstattungsmüde, die Deutschen." Kriegmüde aber könne nur sein, wer den Krieg erleben müsse. Makeiev kennt Mykolajiw. Er war dort öfter bei Freunden seiner Eltern.
Kurz nach dem Besuch des zerstörten Verwaltungsgebäudes kreist dann die Aufklärungsdrohne über der Außenministerin - Baerbock reist mit einem kleinen Eindruck von Kriegsalltag am späten Abend sicher zurück nach Berlin. Ob es ein besonderer Gruß des russischen Präsidenten war, der die deutsche Ministerin unlängst abfällig in einer Rede erwähnte? Offiziell sagt aus der deutschen Delegation niemand etwas dazu. Aber zutrauen würden sie es diesem Putin allemal.