Bosnien und Herzegowina Gewinner des "EU-Erweiterungs-Wirbelwinds"?
Bosnien und Herzegowina könnte grünes Licht für EU-Beitrittsverhandlungen bekommen - aus Brüssels "geopolitischer Räson", meint ein Experte. Dabei hat die Regierung kaum Reformvorgaben umgesetzt und kokettiert mit Nähe zu Russland.
Damit Bosnien und Herzegowina in Beitrittsverhandlungen mit der EU treten kann, wird ein einstimmiger Beschluss benötigt. Noch sind die 27 Mitgliedsländer in der Frage gespalten - doch einige haben mit Rückendeckung der EU-Kommission ihre Erwartungshaltung an Bosnien und Herzegowina deutlich heruntergeschraubt.
2019 war noch von 14 "Schlüsselprioritäten" die Rede, die das Land zu erfüllen habe, um auf dem europäischen Weg voranzukommen. Jetzt könnten lediglich die drei Reformen reichen, die zuletzt umgesetzt wurden. Es waren Gesetze, die unter anderem Korruption und Geldwäsche verhindern sollen und dass Politiker vor allem ihre persönlichen Interessen durchsetzen.
"Bosnien und Herzegowina hat sich in der Substanz nicht wahnsinnig viel bewegt, und die bosnischen Politiker haben die EU-Beitrittsverhandlungen nicht verdient", sagt Vedran Dzihic, Südosteuropa-Forscher mit bosnischen Wurzeln am Österreichischen Institut für Internationale Politik in Wien.
Dzihic ist der Ansicht, dass die Beitrittsbefürworter nur aus einer "geopolitischen Räson" heraus handeln würden, weil die EU Angst habe, Einfluss am Westbalkan an Russland oder China zu verlieren. "Die Haltung gegenüber Bosnien war zuletzt nach dem Motto: Bitte gebt uns einfach irgendetwas. Zeigt uns wenigstens, dass ihr euch ein bisschen bewegt, damit wir euch in unserem Erweiterungs-Wirbelwind mitnehmen können", sagt Dzihic.
Gutes Verhältnis zwischen Čović und Dodik
Er sieht in Bosnien und Herzegowina vor allem zwei zentrale Probleme, die einer europäischen Integration entgegenstehen: zum einen ethno-nationalistische Politiker, die vor allem für ihr Klientel und für sich selbst arbeiten und dabei auch die Justiz beeinflussen. Zum anderen das Kompetenzgerangel zwischen dem Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina und seinen Entitäten, der bosniakisch-kroatisch-dominierten Föderation Bosnien und Herzegowina und der serbisch-dominierten Republika Srpska.
Die beiden mächtigsten Politiker, denen immer wieder Korruption, Ethnonationalismus und eine Spaltung des Landes vorgeworfen wird, sind Dragan Čović, der Chef der bosnisch-kroatischen HDZ-Partei, und Milorad Dodik, der Chef der bosnisch-serbischen SNSD-Partei und Präsident der Republika Srpska. Sie haben ein gutes Verhältnis zueinander und waren Mitte März gemeinsam in Wien - bei einer Podiumsdiskussion der bosnischen Botschaft zum Thema europäische Integration.
Čović nutzte die Gelegenheit, um sich darüber zu beklagen, dass es bei den Wahlen keine saubere Trennung nach ethnischer Zugehörigkeit gebe: So sei der Vertreter der Kroaten im dreiköpfigen Staatspräsidium Bosnien und Herzegowinas überwiegend von Bosniaken gewählt worden.
Ein Kreml-begeisterter Spieler?
Dodik erweckte bei der Diskussion den Eindruck, dass er deutlich begeisterter vom Kreml sei als von der Europäischen Union. "Putin ist ein interessanter Typ und er ist sehr angenehm. Ich werde nicht aufhören, ihn zu besuchen", sagte er. Der bosnische Serbenführer hat dem russischen Präsidenten nach dem Einmarsch in die Ukraine noch den höchsten Orden der Republika Srpska verliehen und wurde auch selbst von Putin ausgezeichnet. Bei der Wiener Podiumsdiskussion warf Dodik der EU vor, als "Trabant der USA" über die Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland zu führen. Eine russische Aggression könne er nicht erkennen, so Dodik.
Vom EU-Beitrittsprozess erhofft er sich, dass Bosnien und Herzegowina dann keine "international verwaltete Kolonie" mehr sei, sondern nach europäischen Standards behandelt werde.
Dodik wurde von den USA und Großbritannien mit Sanktionen belegt, wie auch sein Sohn und seine Tochter samt ihrer Unternehmen. Der Dodik-Familie werden "korrupte Aktivitäten" vorgeworfen: Dodik führe den serbisch regierten Landesteil wie ein Familienbusiness und er treibe die Abspaltung der Republika Srpska vom Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina voran.
"EU muss konsequenter agieren"
Südosteuropa-Forscher Dzihic ist davon überzeugt, dass ein EU-Beitrittsprozess nur ohne Dodik gelingen kann. Denn dieser sei "in den meisten europäischen Städten Persona non grata" und "ein offensichtlicher pro-russischer Spieler, von dem sich Putin etwas erwartet in Zukunft." Er setzt hinzu: "Dodik fürchtet die EU wie der Teufel das Weihwasser, weil er weiß, dass er in einem europäischen Bosnien mit einer starken Gerichtsbarkeit im Gefängnis sitzen würde."
Wenn es beim EU-Gipfel zu einem Votum für Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina kommen sollte, dann sieht Dzihic weiterhin einen sehr langen Weg und noch keinen Zeithorizont, bis zu dem das Land beitrittsreif sein könnte. Doch eine konkretere EU-Perspektive könne viele Bosnier ermuntern, korrupte und nationalistische Politiker abzuwählen.
Dzihic vergleicht das mit der Abwahl der autoritären Gruevski-Regierung in Nordmazedonien 2016: Damals versprach die EU einen schnellen Beitritt und die Blockade Griechenlands wurde aufgelöst, nachdem sich Mazedonien in Nordmazedonien umbenannte. Doch der EU-Beitritt ist bis heute nicht erfolgt - Bulgarien blockiert wegen eines Streits um die bulgarische Kultur und Minderheit in Nordmazedonien. "So etwas darf im Falle von Bosnien und Herzegowina nicht passieren", sagt Dzihic. "Wenn es da zu Veränderungen kommen sollte, muss die EU deutlich geschlossener, konsequenter, geradliniger und prinzipientreuer agieren."