Fünf Jahre nach Brückeneinsturz Die absehbare Katastrophe von Genua
Die italienische Hafenstadt Genua erinnert heute an 43 Menschen, die vor fünf Jahren bei dem Einsturz einer Brücke ums Leben kamen. Ein Unglück, das mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können.
Die Sprecherin der Hinterbliebenen wirkt entschlossen. "Ich - wir werden nicht aufgeben, weil es ein zu wichtiger Kampf ist", sagt Egle Possetti. Er sei wichtig für alle italienischen Bürger, denn es sei "ein Kampf gegen Missstände" und "ein Kampf gegen Ineffizienz, Anmaßung und Gier".
Possetti hat bei dem Unglück ihre Schwester, ihren Schwager, ihre Nichte und ihren Neffen verloren. Für sie und die insgesamt 43 Opfer kämpft sie, will die Wahrheit ans Licht bringen. Warum damals, am 14. August 2018 um 11.36 Uhr der Mittelteil der Autobahnbrücke in Genua zusammenkrachte und Autos und Lastwagen mit sich riss.
"Oh Dio, oh Dio!" Die Entsetzensschreie der Augenzeugen haben sich tief in das Gedächtnis Italiens eingebrannt. An dem Tag fegte ein heftiges Unwetter über die ligurische Hafenstadt, möglicherweise, so mutmaßte zunächst die Autobahnbetreiberin, sei ein Blitz in einen Träger eingeschlagen. Doch nach und nach wurde klar, dass das Unglück selbst verschuldet war.
Experten von Schäden überzeugt
Im Mai sagte ein langjähriger Vorstandsvorsitzender der zuständigen Benetton-Holding im Gerichtssaal aus. Demnach, so Gianni Mion, wusste man bereits 2010 von Sicherheitsmängeln an der Brücke, die Einsturzgefahr war also bekannt. "Vieles haben wir nicht gemacht, was wir hätten tun sollen. Dumm war das. Aber wir haben es eben nicht gemacht."
Die Brücke, die 1967 eingeweiht worden war, kam Ende der 1990er-Jahre zum Firmenimperium der Benetton-Familie, da die zuständige Autobahngesellschaft ASPI privatisiert wurde. Ex-Manager Mion macht sich nach eigenen Angaben heute große Vorwürfe, dass er damals nichts unternommen hat. Er ist einer von 59 Angeklagten, die sich seit dem Sommer vergangenen Jahres vor dem Gericht in Genua verantworten müssen - unter ihnen sind Manager, Techniker und staatliche Aufseher.
Experten sind davon überzeugt, dass Schäden den Zusammenbruch verursacht haben. Schäden, die über Jahre hinweg wegen mangelnder Wartung nicht entdeckt wurden. Oder Mängel, die schon Anfang der 1990er-Jahre bekannt waren, aber nicht behoben wurden.
Vergleich mit Autobahngesellschaft
Für die Hinterbliebenen ist die gerichtliche Aufarbeitung immens wichtig, so Egle Possetti. "Das Engagement, das wir in dieser ersten Instanz sehen, ist wirklich groß, die Anklageschrift ist enorm", sagt sie. Ein bisschen Vertrauen bestehe also. "Aber da wir in Italien sind, haben wir nicht das volle Vertrauen bis zum Schluss. Denn leider sind viele Fälle bisher schlecht ausgegangen."
So könnte etwa eine Verjährung vor Ende des Verfahrens eintreten. Zudem werden Verantwortlichkeiten hin- und hergeschoben. Die Autobahngesellschaft sitzt nicht mehr auf der Anklagebank, nachdem sie mit dem Staat einen Vergleich ausgehandelt hatte.
In Millionenhöhe hat sie Entschädigungen an die Hinterbliebenen bezahlt, auch für den Abriss und den Neubau der Brücke ist sie aufgekommen. Entworfen wurde diese von dem Genueser Stararchitekt Renzo Piano, schon im Sommer 2020 wurde sie eingeweiht.
Zur Einweihung wurde die neue San-Giorgio-Brücke in den italienischen Nationalfarben angeleuchtet.
Zeremonien erinnern an Unglück
Der Brückenexperte Settimo Martinello meint, dass die Autobahnbrücken in Italien heute intensiver kontrolliert würden also noch vor fünf Jahren. "Heute müssen sie dies mit einer Methodik tun, die national ist. Alle Daten müssen mit einer bestimmten Häufigkeit an das Ministerium übertragen werden", sagt er. "Es besteht also die Gewissheit, dass die Inspektionen mit einer Methodik durchgeführt werden, die nicht mehr diejenige ist, die die Ursache aller Ereignisse war."
Zum fünften Jahrestag erinnert Italien mit mehreren Zeremonien an das Unglück und gedenkt der 43 Männer, Frauen und Kinder, deren Tod man hätte verhindern können.