Tödliche Schüsse Was zu dem Anschlag in Brüssel bekannt ist
Mitten im Zentrum Brüssels schießt ein Mann auf Passanten, tötet zwei schwedische Fußballfans und flüchtet. Die Polizei erschießt den Verdächtigen später, inzwischen reklamiert der IS die Tat für sich. Ein Überblick, was über die Tat bekannt ist.
Was ist passiert?
Etwa eineinhalb Stunden vor dem Anpfiff des EM-Qualifikationsspiels Schweden gegen Belgien - gegen 19.15 Uhr - erschoss am Montagabend ein Mann im Norden der Hauptstadt Brüssel zwei schwedische Fußballfans und verletzte eine weitere Person. Videos von Augenzeugen, die in den Sozialen Medien verbreitet wurden, zeigen, wie ein bewaffneter Mann in einer orangefarbenen Neonjacke in der Nähe des Place Sainctelette im Stadtteil Sint-Jans-Molenbeek von einem Motorroller absteigt und auf Menschen schießt, die aus einem Taxi aussteigen. Der Täter verfolgt daraufhin Passanten, die in einem gläsernen Foyer eines Bürogebäudes Zuflucht suchen und schießt erneut. Die Polizei bestätigte diese Angaben bislang nicht.
Nach der Tat, die sich etwa fünf Kilometer vom Fußballstadion entfernt ereignete, floh der Mann laut Angaben der Nachrichtenagentur AP mit einem Roller.
Eine Hausdurchsuchung durch Spezialeinheiten im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek blieb ohne Erfolg. Nach einem Hinweis stellten Polizisten den Täter aber nur wenige Straßen von der Wohnung entfernt und schossen ihn an, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Auf dem Weg ins Krankenhaus sei der Mann gestorben. Eine Waffe und eine Tasche mit Kleidungsstücken seien sichergestellt worden, hieß es in der Mitteilung. "Der Täter des Terroranschlags in Brüssel wurde identifiziert und ist tot", schrieb die belgische Innenministerin Annelies Verlinden auf dem Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter.
Wer sind die Opfer?
Die beiden getöteten Schweden waren zwei Männer im Alter von ungefähr 60 und ungefähr 70 Jahren. Das bestätigte das schwedische Außenministerium dem Fernsehsender TV4. Der Ältere habe demnach im Großraum Stockholm gelebt, der Jüngere lebte offenbar in der Schweiz. Bei dem Anschlag in Brüssel wurde auch eine dritte Person verletzt. Nach Informationen des Senders TV4 soll der Verletzte ebenfalls Schwede sein. Der etwa 70-Jährige sei demnach mittlerweile außer Lebensgefahr.
Was ist über den Täter bekannt?
Bei dem erschossenen Täter soll es sich um einen 45-jährigen Tunesier handeln. Er habe im November 2019 in Belgien Asyl beantragt, sagte der belgische Justizminister Vincent van Quickenborne. Im Oktober 2020 wurde der Antrag laut belgischen Behörden abgelehnt. Seitdem habe sich der Mann illegal in Belgien aufgehalten.
Laut Polizeiangaben war der Mann im Zusammenhang mit Menschenhandel, illegalem Aufenthalt und Gefährdung der Staatssicherheit aufgefallen, war aber nicht als Gefährder registriert. Allerdings übermittelte im Juli 2016 eine ausländische Polizeibehörde unbestätigte Informationen, wonach der Mann ein islamistisches Profil habe und in ein Konfliktgebiet in den Dschihad ziehen wolle, sagte van Quickenborne. Sie seien ohne Ergebnis überprüft worden. "Darüber hinaus gab es, soweit unseren Diensten bekannt, keine konkreten Hinweise auf eine Radikalisierung", hieß es.
Gibt es Hinweise auf einen extremistischen Hintergrund?
Die belgische Regierung und die Staatsanwaltschaft sprechen bei dem Anschlag von Terror. Vieles ist jedoch noch unklar. In sozialen Netzwerken wurde nach Angaben der Bundesanwaltschaft ein Beitrag geteilt, bei dem es sich um ein Video des Täters handeln soll. Darin sagt er, dass er ein Kämpfer des "Islamischen Staats" sei und spricht in dem Video von Schweden, die er getötet habe.
Die Bundesstaatsanwaltschaft vermutet, dass die schwedische Staatsangehörigkeit der Opfer eine Motivation für die Tat gewesen sein könnte. In diesem Jahr hatten Menschen in Schweden und später auch in Dänemark bei Demonstrationen mehrmals Koran-Exemplare angezündet und damit wütende Reaktionen unter Muslimen ausgelöst.
Ein Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas wurde gestern noch ausgeschlossen, heute sagte ein Sprecher der belgischen Staatsanwaltschaft dem Sender VRT: "Aber wir haben inzwischen festgestellt, dass er in seinen sozialen Medien eine Reihe von Unterstützungsbekundungen für das palästinensische Volk geteilt hat."
Am Dienstagabend reklamierte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den Anschlag für sich. Eine entsprechende Botschaft verbreitete die Dschihadisten-Miliz über ihr Sprachrohr "Amak". Ein Kämpfer des IS habe die Attacke im Umfeld eines Fußballspiels verübt und dabei zwei "Christen" getötet, hieß es in der Mitteilung. Der Angreifer sei schließlich getötet worden. Als Grund für die Tat nannte der IS einen Aufruf der Gruppe, gegen Staatsangehörige der US-geführten Militärkoalition in Syrien zu kämpfen. Schweden hatte im Irak kurdische Truppen im Kampf gegen den IS ausgebildet. Die Terrormiliz hatte in der Vergangenheit weite Gebiete in Syrien und dem benachbarten Irak beherrscht. Trotz des 2019 verkündeten militärischen Siegs über den IS sind dessen Zellen weiterhin im Land aktiv und verüben Anschläge.
Welche Konsequenzen fordert die schwedische Regierung?
Schwedens Regierungschef Ulf Kristersson sagte, sein Land sei so bedroht wie nie zuvor. "Noch nie in der Neuzeit stand Schweden unter einer so großen Bedrohung wie jetzt", sagte Kristersson. Alles deute auf einen "Terrorangriff" hin, bei dem der mutmaßlich islamistisch motivierte Täter seine Opfer gezielt angegriffen habe, "weil sie Schweden waren".
Bereits vor zwei Monaten hatte der schwedische Geheimdienst Sapo die zweithöchste Terror-Warnstufe als Reaktion auf anti-schwedische Proteste nach den Koran-Schändungen ausgerufen. "Jetzt wissen wir mit erschreckender Klarheit, dass diese Bedenken berechtigt waren", sagte Kristersson mit Blick auf die Terrorwarnstufe.
Das schwedische Außenministerium forderte schwedische Bürger im Ausland nach dem Anschlag in Brüssel zu erhöhter Vorsicht und Wachsamkeit auf.
Regierungschef Kristersson sagte, Informationen, die darauf hindeuten, dass sich der mutmaßliche Schütze illegal in Belgien aufhalte, unterstrichen die Notwendigkeit, ausländische Staatsbürger zu finden und auszuweisen, die sich ohne Erlaubnis in EU-Ländern aufhalten. Zudem seien bessere Grenzkontrollen in der EU nötig. Der mutmaßliche Täter habe sich nach Informationen der belgischen Behörden vor dem Anschlag zeitweise auch in Schweden aufgehalten.
Am Morgen nach der Tat haben Menschen Blumen am Tatort abgelegt.
Wie sind die Reaktionen der EU-Partner?
Im EU-Parlament hielten die Abgeordneten eine Schweigeminute ab. "Terror und Extremismus dürfen nicht in unsere Gesellschaften eindringen. Wir haben das Recht, uns sicher zu fühlen und in Sicherheit zu leben", sagte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. "Wir dürfen den Hass nicht siegen lassen", fügte sie hinzu.
"Alle europäischen Staaten sind verwundbar, und es gibt tatsächlich ein Wiederaufleben des islamistischen Terrorismus", sagte der französische Präsident Emmanuel Macron. Am Freitag war an einer Schule in Nordfrankreich ein Französischlehrer von einem radikalisierten ehemaligen Schüler getötet worden. "Hier bekräftigen wir unsere Solidarität mit unseren belgischen Freunden", so Macron.
Was sagt der schwedische Fußballverband?
Die beiden getöteten Schweden waren für das Qualifikationsspiel nach Brüssel gereist. "Alle spüren ein unglaubliches Gefühl, weil zwei Fans nicht nach Hause kommen werden. Es ist schrecklich", sagte Håkan Sjöstrand der Generalsekretär des schwedischen Fußballverbandes. Der schwedische Nationaltrainer Janne Andersson sagte: "In was für einer Welt leben wir? Menschen werden heute in Schweden auf eine Weise erschossen, die unwirklich ist."
Die schwedische Nationalmannschaft hatte noch in der Nacht per Charterflieger die belgische Hauptstadt verlassen. Viele schwedische Fans mussten aus Sicherheitsgründen zum Teil bis 4 Uhr nachts im Stadion warten, ehe auch sie mit der Polizei zu ihren Hotels eskortiert worden.
Den Fans wurde nahegelegt, keine schwedischen Flaggen in der Öffentlichkeit zu zeigen. Gleichzeitig erhielten sie das Angebot, bei ihrer Rückreise zum Flughafen eskortiert zu werden. "Alles ist so surreal, jenseits aller Realität. Alle wollen einfach so schnell wie möglich von hier weg", sagte Andreas Richt von der schwedischen Fan-Organisation Gula Väggen der Zeitung "Aftonbladet".