Mario Draghi

Regierungskrise in Italien Draghi angezählt - Neuwahl wahrscheinlich

Stand: 21.07.2022 00:07 Uhr

Nachdem drei Regierungsparteien das Vertrauensvotum für Draghi blockiert haben, steht der italienische Premierminister vor dem Aus. Neuwahlen gelten jetzt als wahrscheinlichste Option. Umfragen sehen ein Rechtsbündnis vorn.

Von Jörg Seisselberg, ARD-Studio Rom

Ein Lächeln, ein kurzes Winken zu den vor dem Senat wartenden Passanten. Dann stieg Mario Draghi in seinen Dienstwagen und ließ sich zum Palazzo Chigi bringen, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten. Wahrscheinlich eine seiner letzten Dienstfahren, denn Draghis Versuch, für die Fortsetzung seiner Regierung der nationalen Einheit eine Mehrheit zu finden, ist im Senat krachend gescheitert.

Koalitionspartner stellen sich gegen Draghi

Gleich drei große Regierungsparteien, die Fünf-Sterne-Bewegung, die rechte Lega und die Forza Italia des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi verweigerten Draghi die Unterstützung. Alle drei Parteien hielten dem Regierungschef auf unterschiedliche Weise vor, er habe ihre politischen Themen zu wenig beachtet.

Der ehemalige europäische Zentralbankchef hatte zuvor in seiner Erklärung im Senat noch eindringlich um Zustimmung und für einen Neustart der Regierung geworben: "Italien bracht kein Vertrauen, das nur Fassade ist, das bei den ersten unbequemen Maßnahmen verschwindet. Es braucht einen neuen Pakt des Vertrauens, ehrlich und konkret. Ich frage die Parteien und euch Parlamentarier: Seid ihr bereit einen solchen Pakt zu erneuern?"

"Draghi wird nächstes Rücktrittsgesuch abgeben", Rüdiger Kronthaler, ARD Rom, zu Regierungskrise in Italien

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Keine breite Mehrheit

Zu den Verlierern des Abends gehört der sozialdemokratische PD, der Draghi bis zuletzt unterstützt hatte. PD-Chef Enrico Letta zeigt sich tief enttäuscht über die Entwicklung. "Heute ist ein trauriger und dramatischer Tag für Italien. Unsere Unterstützung für die Regierung Draghi war rein und ehrlich und ich glaube, das war im Interesse Italiens."

Am Ende aber blieben an Draghis Seite außer den Sozialdemokraten nur noch die Linken, die Partei Italia Viva des ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi sowie die neue Gruppierung von Außenminister Luigi Di Maio, der vergangenen Monat aus der Fünf-Sterne-Bewegung ausgetreten war. Eine Unterstützung, weit entfernt von der breiten Mehrheit im Parlament, die Draghi als Bedingung für sein Weitermachten genannt hatte.

"Schnelle Neuwahlen"

Für PD-Chef Letta ist klar, worauf es nach dieser Niederlage hinausläuft. "Ich glaube, dass wir jetzt schnell Neuwahlen haben werden. Dann können die Italiener wählen zwischen denen, die diese Regierung loyal unterstützt haben und denen, die die Regierung begraben wollten aus parteitaktischen Gründen und quasi bereits ihre Wahlkampagne begonnen haben."

Heute um 9 Uhr will Draghi noch eine Erklärung in der Abgeordnetenkammer, dem zweiten Teil des Parlaments, abgeben. Danach wird damit gerechnet, dass Draghi Staatspräsident Sergio Mattarella erneut seinen Rücktritt anbietet - und dieser ihn diesmal akzeptiert. Spätestens 70 Tage nach Auflösung des Parlaments muss es Neuwahlen geben, als wahrscheinlichster Termin gilt der 2. Oktober.

Gute Aussichten für rechte Kandidatin

Nach den letzten Umfragen hat die derzeit größten Siegchancen ein Rechtsbündnis, aus der postfaschistischen Partei Brüder Italiens, der Lega und Forza Italia. Die Chefin der Brüder Italiens, Giorgia Meloni, zeigte sich gestern Abend gut gelaunt.

"Es bestätigt sich das, was die Brüder Italiens von Beginn an zur Regierung Draghi gesagt haben. Dass es in einer parlamentarischen Republik nicht funktionieren kann, wenn alles und das Gegenteil von allem zusammenregiert", sagte sie. "Für uns ist die Bilanz dieser Regierung und dieser Legislatur denkbar schlecht."

Meloni, früher Mitglied einer neofaschistischen Partei, ist seit Monaten hinter Draghi beliebteste Politikerin Italiens. Meloni darf darauf hoffen, jetzt auch Amtsnachfolgerin Draghis zu werden.

Jörg Seisselberg, Jörg Seisselberg, ARD Rom, 21.07.2022 05:21 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Morgenmagazin am 21. Juli 2022 um 07:17 Uhr.