PISA-Studie Von Estland das Lernen lernen
Die Corona-Pandemie hat auch in Estlands Schulen Spuren hinterlassen - doch im europäischen Vergleich der PISA-Studie liegt das Land weiterhin vorn. Einer der Gründe: das gemeinsame Lernen bis zur 9. Klasse.
Matheunterricht in Estland an der Jüri Schule in der Nähe von Tallinn: Die Kinder, die hier zusammen lernen, sind weder auf einem Gymnasium noch auf einer Realschule. Denn in Estland lernen alle bis zur 9. Klasse zusammen. So lange gibt es eine sogenannte Einheitsschule - ähnlich einer deutschen Grundschule. Die Schülerinnen und Schüler werden nicht früh nach Leistungsniveau aufgeteilt. Das sei einer der wichtigsten Gründe für den Bildungserfolg, so die estnische PISA-Expertin Gunda Tire.
"Wir achten bei unseren Kindern darauf, dass alle hinterherkommen", sagt Tire. "Diejenigen, die mehr Hilfe brauchen, profitieren von individueller Unterstützung." Dafür seien sogenannte Beratungszentren eingerichtet worden. Etwas Vergleichbares gebe es in Europa nicht.
Individuelle Förderung als Schlüssel zum Bildungserfolg
Diese individuelle Förderung Einzelner würde am Ende dazu führen, dass es weniger schwache Schülerinnen und Schüler gebe - dafür eine starke Spitze mit sehr guten akademischen Leistungen, so die Expertin.
Lernziele sind in Lehrplänen festgelegt, doch am Ende kann Lehrerin Carolina Remmet selbst entscheiden, wie sie ihren Unterricht gestaltet - angepasst an die Bedürfnisse der Klasse.
"Natürlich müssen die Schülerinnen und Schüler gewisse Leistungen erbringen", sagt Remmet. "Aber wie sie das machen, das entscheide ich. Ich habe zwar ein Lehrbuch und einen Plan. Aber ich kann die Reihenfolge immer selbst bestimmen."
Großes Vertrauen in Lehrkräfte und Schulen
Das Vertrauen in die einzelne Lehrkraft ist groß bei der Unterrichtsgestaltung - die Gehälter allerdings sehr niedrig in dem ohnehin wirtschaftlich schwachen Land. Lehrermangel ist auch hier ein Thema.
Wie viele Lehrerinnen und Lehrer an einer Schule unterrichten oder wie viele Schulen es in einer Gemeinde gibt - auch diese Fragen werden nicht im Ministerium beantwortet, sondern vor Ort entschieden.
Kindergarten als Bildungseinrichtung
Kristina Kallas, die derzeitige Bildungsministerin und Mitglied der liberalen Partei, will bei Bildungsfragen nicht nur über die Schulen sprechen. Bereits im Kindergarten würden die wichtigsten Grundvoraussetzungen geschaffen. "Die Vorbereitung der Kinder auf das Lernen und auf das Bildungssystems ist bereits Teil der frühkindlichen Bildung", sagt Kallas.
"Dreiviertel unserer Zweijährigen gehen in die Vorschule - das ist ein Kindergarten, den wir als Bildungseinrichtung begreifen: Mit Lehrplan und Qualifikationsanforderungen für Pädagogen", erklärt die Ministerin.
Inflation hat Auswirkungen auf Familien
Doch am Ende hat auch hier die Pandemie ihre Spuren hinterlassen im vorbildlichen Estland. Die Inflation lag teilweise bei knapp 20 Prozent und das habe natürlich Auswirkungen auf die Familien, so die PISA-Expertin Tire.
"Es braucht ein ganzes Dorf, damit ein Kind gut gedeiht - dieses Sprichwort gilt auch heute. Die Schule kann nicht alle Aufgaben einer Familie übernehmen", betont Tire. "Im Normalfall werden familiäre Werte und andere wichtige Dinge zu Hause vermittelt. Es gibt Studien dazu, dass ein wichtiger Bestandteil für Bildung das gemeinsame Abendessen zu Hause ist." Doch auch die ganze Gesellschaft müsse mithelfen.
Einen Vorteil hatte Estland während der Pandemie allerdings: Die weit vorangeschrittene Digitalisierung im Bildungswesen hat dazu geführt, dass der Umstieg auf Homeschooling ziemlich geräuschlos ablief.