Dänische Polizisten stoppen an der Grenze zu Schweden bei Kastrup einen Bus.
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Migration Wer will was im EU-Asylstreit?

Stand: 17.10.2024 11:15 Uhr

Über kaum ein Thema debattiert die EU so anhaltend kontrovers wie die Asyl- und Migrationspolitik. Auch der Asylpakt vom Mai hat daran nichts geändert. Nun beschäftigt das Thema erneut einen EU-Gipfel. Wer will dabei was?

Der Umgang mit illegaler Migration könnte beim EU-Gipfel die Gespräche am großen Tisch im Brüsseler Europa-Gebäude dominieren. So ist es jedenfalls aus vielen Mitgliedstaaten vorab zu hören.

In den ersten neun Monaten des Jahres haben 166.000 Menschen versucht, auf irreguläre Weise in die EU zu gelangen, meldet die EU-Grenzschutzagentur Frontex. 42 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Rückläufig waren die Zahlen bei Einreisen über das zentrale Mittelmeer, von Libyen oder Tunesien aus. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wertet das als positive Folge der Abkommen mit diesen Ländern. Starke Zunahmen gab es dagegen über die östliche Landgrenze, beispielsweise über Belarus nach Polen und Litauen.

Insgesamt sehen die EU-Staaten weiterhin eine große Dringlichkeit beim Thema Migration. In Deutschland haben die Anschläge von Solingen die Diskussion intensiviert.

Wie viel Einigkeit besteht in der EU?

In einem sind die 27 EU-Länder weitestgehend auf gemeinsamer Linie: Die Regeln werden schärfer. Dieses Signal hat bereits die Reform der Asyl- und Migrationsgesetze gesetzt. Das Paket war im Mai nach jahrelangen Verhandlungen beschlossen worden.

Doch im Detail gibt es viele unterschiedliche Vorstellungen innerhalb der EU. Polen droht jetzt damit, das Asylrecht zumindest an der Grenze zu Belarus zeitweise auszusetzen, was unter anderem die EU-Kommission kritisch sieht. Regierungschef Donald Tusk wirft Belarus und Russland vor, Migranten gezielt zu schleusen: "Das Recht auf Asyl wird in diesem Krieg instrumentalisiert und hat nichts mit den Menschenrechten zu tun."

Deutschland hat seine Grenzkontrollen ausgeweitet. Nicht in allen EU-Hauptstädten fühlte man sich dabei von Berlin ausreichend und rechtzeitig informiert.

Die Niederlande und Ungarn würden am liebsten ganz aus den gemeinsamen Regeln aussteigen. Dafür müssten jedoch die grundlegenden Verträge der EU verändert werden. Das gilt auf absehbare Zeit als extrem unwahrscheinlich.

Welche Vorschläge sind in der Diskussion?

Die EU-Staaten haben kurz vor dem Gipfel Post von der Kommissionspräsidentin bekommen. Auf sieben Seiten skizziert von der Leyen einen Aktionsplan für die kommenden Monate. So sollen beispielsweise einige Maßnahmen des beschlossenen Asyl- und Migrationspakts früher als geplant umgesetzt werden. Weitere Partnerschaften mit Drittstaaten sollen geschlossen werden.

Für besondere Aufmerksamkeit hat jedoch ein Punkt gesorgt: Die EU-Kommission will ein neues Gesetz zur Abschiebung von Migranten auf den Weg bringen. So soll die Situation in allen Mitgliedstaaten harmonisiert werden. Abgelehnte Asylbewerber könnten dann die bisherigen Unterschiede von Land zu Land nicht mehr ausnutzen. Auch "innovative Wege" gegen illegale Migration will von der Leyen entwickeln lassen. Zu "möglichen Schritten vorwärts" könnten Abschiebezentren außerhalb der EU zählen. Momentan verlassen nur etwa 20 Prozent der abgelehnten Asylbewerber ein EU-Land auch wirklich.

Funktioniert das Albanien-Modell als Vorbild?

Am Mittwoch legte das erste Schiff aus Italien im albanischen Hafen Shengjin an. Von Bord gingen 16 Männer aus Bangladesh und Ägypten. Sie waren außerhalb der italienischen Hoheitsgewässer aufgegriffen worden. Ihr Asylantrag wird jetzt in einer mit Zäunen gesicherten Einrichtung, die von der italienischen Polizei betrieben wird, geprüft. Fällt das Ergebnis negativ aus, sollen die Männer möglichst von dort abgeschoben werden.

Italiens Regierungschefin hat mit dem EU-Beitrittskandidaten Albanien eine mehrjährige Vereinbarung geschlossen. Kommissionspräsidentin von der Leyen erwähnt dieses Modell in ihrem Brief ausdrücklich als Praxisbespiel, aus dem man Lehren ziehen könne.

Menschenrechtsorganisationen sehen solche externen Abschiebezentren kritisch. Sie warnen vor dem Umgehen von EU-Standards und Menschenrechtsverstößen. Die spanische Regierung hat sich bereits mit einer deutlichen Ablehnung zu Wort gemeldet.

Und die deutsche Position? Angesprochen auf solche Rückführungszentren in Drittstaaten sagt Bundeskanzler Olaf Scholz direkt vor Beginn des Gipfels in Brüssel: "Klar ist, dass Konzepte, die ganz wenige, kleine Tropfen darstellen, wenn man die Zahlen anguckt, für ein so großes Land wie Deutschland nicht wirklich die Lösung sind."

Bisher ist das Modell Albanien ein Einzelfall. Andere Staaten außerhalb der EU haben sich offenbar für eine Zusammenarbeit dieser Art bisher nicht bereit erklärt. Allerdings prüfen die Niederlande wohl gerade, abgelehnte Asylbewerber nach Uganda zu fliegen.

Mit welchen konkreten Beschlüssen ist zu rechnen?

Die 27 EU-Staaten wollen sich in Brüssel ausreichend Zeit für die Diskussion über Asyl und Migration nehmen. Mit sehr konkreten Detail-Beschlüssen ist jedoch nicht zu rechnen. Es ist üblich, dass der Gipfel nur eine grobe politische Orientierung gibt. Die Detailarbeit übernehmen dann beispielsweise die EU-Kommission oder die Ministerräte.