Karte: Länder des Westbalkans – Serbien, Nordmazedonien, Kosovo, Albanien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina
hintergrund

Geostrategische Interessen Die EU, der Westbalkan und die Frage des Beitritts

Stand: 14.10.2024 06:00 Uhr

Seit 2014 treffen sich Deutschland und andere EU-Länder jährlich mit den Westbalkan-Staaten zu Gipfeln, um sie näher an die EU heranzuführen. Doch über einzelne Kandidaten ist man uneins.

Dass die EU ein großes Interesse am Beitritt der sechs Länder des westlichen Balkans hat, gilt in Brüssel als Konsens. Von einem "geostrategischen Investment" spricht der Europäische Rat, vom "Schließen grauer Zonen" ist da die Rede.

Im Klartext: Die Region soll näher an die EU herangerückt werden, bevor sie stärker in den Einfluss des Kremls oder Chinas gerät. Klingt nach einem geschlossenen Konzept, aber im Einzelfall sieht es dann doch sehr unterschiedlich aus.

Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung

Das kleine Montenegro zum Beispiel gilt als bereits relativ EU-nah. Ebenso Nordmazedonien, das allerdings im Clinch liegt mit Bulgarien wegen der bulgarischen Minderheit im Land. Bei den anderen Kandidaten verlangt die Europäische Union vor allem noch erhebliche Fortschritte in Fragen der Rechtsstaatlichkeit und im Kampf gegen die Korruption.

Zwiespältig ist das Verhältnis zu Serbien, dem größten der sechs Beitrittskandidaten. Einerseits hat die EU gerade ein Milliarden-Abkommen zum Abbau des Edelmetalls Lithium geschlossen, das zur Herstellung von Batterien gebraucht wird und unabhängiger von Einfuhren aus China machen kann. Andererseits betrachtet man die Nähe der Belgrader Regierung zu Moskau argwöhnisch. Serbien beteiligt sich zum Beispiel nicht an den Sanktionen gegen Russland.

Ungarn sieht in Serbien möglichen Partner

Der ungarische Regierungschef Viktor Orban wiederum warb in der vergangenen Woche bei seiner Rede vor dem EU-Parlament ganz besonders für die Aufnahme Serbiens. Orban erhofft sich einen Partner auf seiner Seite des EU-Spektrums, in vielen EU-Hauptstädten befürchtet man dagegen einen weiteren Störenfried. Jedem einzelnen Beitritt müssen am Ende übrigens alle 27 derzeitigen Mitglieder zustimmen.

Der Beitritt der sechs Balkanländer ist allerdings nicht nur eine Frage von Verhandlungen mit den Kandidaten und deren Fortschritten daheim, sondern auch eine Herausforderung für die EU selbst und ihre Reformfähigkeit.

Neue Mitglieder bringen Reformbedarf

Für Experten ist es unvorstellbar, dass die EU auf mehr als 30 Mitglieder anwächst und alles andere beim Alten bleibt - vom Einstimmigkeitsprinzip über die Agrarsubventionen bis hin zur Größe des EU-Parlaments und die Zahl der EU-Kommissare. Da hat im Moment nämlich jedes Mitgliedsland Anspruch auf einen Posten.

Der noch amtierende Ratsvorsitzende Charles Michel hat kürzlich das Jahr 2030 als Beitrittsdatum ins Spiel gebracht. Das hält nicht jeder für realistisch. Aber es wird dadurch klar, welcher Zeit- und Veränderungsdruck für die Europäische Union besteht, wenn sie tatsächlich neue Mitglieder aufnehmen will.