Macron spricht vor einem Dassault-Kampfjets zu Soldaten in Saint-Sauveur (Frankreich)
Player: audio"Frankreich - Die Leugnung der Schulden"

Aufrüstung trotz Verschuldung Geld spielt in Frankreich eine andere Rolle

Stand: 18.03.2025 17:23 Uhr

Wenn Europa seine Verteidigung neu ordnet, will Frankreich eine führende Rolle spielen. Zwar ist der Staat klamm, und das begrenzt seinen Handlungsspielraum. Doch Frankreich hat ein anderes Verhältnis zu Schulden.

An Warnrufen hat es nicht gefehlt. Vor allem der Chef des französischen Rechnungshofes Pierre Moscovici fand zuletzt immer wieder klare Worte. Die Haushaltslage Frankreichs sei "äußerst schlimm". 2024 sei ein "schwarzes Jahr" für die Staatsfinanzen gewesen. Wenn die Schulden weiter stiegen, wenn 2025 nicht die Wende bringe, so Moscovici, sei der politische Handlungsspielraum irgendwann gleich null.

Die Schulden drastisch zu senken, sei eine Frage der Glaubwürdigkeit, der Nachhaltigkeit und der Souveränität. Schon jetzt müsse Frankreich 50 Milliarden Euro für die Zinsen seiner Kredite aufbringen. Und in den kommenden Jahren werde diese Last weiter steigen: "Wenn man jährlich 70, 80, 90 Milliarden Euro aufbringen muss, um seine Schulden zu bezahlen, wie soll man da Bildung, Innovation, Umweltschutz finanzieren? Und dann auch noch die Verteidigung! Das kostet Geld!", sagte Moscovici bereits Ende letzten Jahres.

Eindringlich warnt er im jüngsten Bericht des Rechnungshofes: "Frankreich steht mit dem Rücken zur Wand." Die Rede ist von 3.300 Milliarden Euro Schulden. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt rangiert Frankreich auf der Liste der am höchsten verschuldeten Länder der Eurozone auf Platz drei, direkt hinter Griechenland und Italien.

Die Leugnung der Schulden

Ist diese desaströse Lage schlicht ein Ergebnis der jüngsten Herausforderungen, wie etwa der Gelbwesten-Bewegung, der Corona-Pandemie, der Energiekrise oder des Krieges in der Ukraine? Nur zum Teil, sagt Wirtschaftshistorikerin Laure Quennouelle-Corre vom Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung CNRS. Das Schuldenmachen habe in Frankreich System.

Während in Deutschland die Staatsverschuldung Gegenstand öffentlicher Debatten, ganzer Wahlkämpfe und mit der Schuldenbremse auch der Gesetzgebung sei, gebe es in Frankreich seit Jahrzehnten eine allgemeine "Leugnung der Schulden"; "Le déni de la dette" - so heißt auch ihr vielbeachtetes Buch zum Thema. Quennouelle-Corre diagnostiziert ihren Landsleuten "Schizophrenie".

In den Umfragen lasse sich zwar ablesen, dass sich viele Menschen Sorgen um die hohe Staatsverschuldung machten. Gehe es aber darum Schulden abzubauen, werde abgewehrt nach dem Motto "Bloß nicht die Steuern anheben, bloß nicht die Sozialausgaben senken". In Frankreich sei man sehr stark darin, "vor der Realität der öffentlichen Finanzen zu fliehen".

Klassenkampf und Großprojekte

Quennouelle-Corre macht zwei Gründe für diese Haltung aus. Zum einen dienten schuldenfinanzierte Ausgaben seit Jahrzehnten als soziales "Schmiermittel". In Frankreich würden soziale Konflikte traditionell sehr hart ausgetragen. Das datiere schon aus der französischen Revolution.

Zudem hätten Gewerkschaften in Frankreich nicht viel Macht. "Umso radikaler sind ihre Forderungen. Wir kennen keine Mitbestimmung wie in Deutschland. Also löst der Staat die Konflikte mit Geld."

Zum anderen nehme der Staat seit jeher eine wichtige Rolle in der Wirtschaft ein. Das sei schon unter dem Sonnenkönig Ludwig dem XIV. und seinem Finanzminister Jean-Batiste Colbert so gewesen; auch in der III. Republik (1870-1940) habe es diesen interventionistischen Ansatz gegeben. "Dass der Staat Geld für große Projekte ausgibt, ist in der französischen Kultur - und übrigens selbst bei den konservativen Gaullisten - absolut legitim."

Reiterstatue von Ludwig XIV. vor dem Schloss Chateau de Versailles in Frankreich.

Schon unter Ludwig dem XIV. habe der Staat eine besonders wichtige Rolle in der Wirtschaft eingenommen, sagt Wirtschaftshistorikerin Laure Quennouelle-Corre.

Der für die jüngste Schuldenexplosion verantwortliche, literarisch gebildete Wirtschaftsminister von Präsident Emmanuel Macron, Bruno Le Maire, hat seinerseits auf die semantischen Unterschiede hingewiesen: Der französische Begriff für die Schuld, "la dette", sei allein auf die finanzielle Schuld bezogen. Im Deutschen hingegen stecke in dem Wort Schuld "einmal die finanzielle Schuld, aber auch eine Verfehlung, eine moralische Verfehlung".

Hinzu komme, sagt Historikerin Quennouelle-Corre, dass man in Frankreich - anders als in Deutschland - traditionell nicht an einer starken Währung hänge. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Frankreichs Regierungen den Franc immer wieder abgewertet. Die Einführung des Euro hätte Frankreich eigentlich disziplinieren sollen. Am Ende, so Quennouelle-Corre, habe er Frankreichs Schuldenpolitik eher geschützt, nach der Logik: "Too big to fail."

Woher das Geld für Verteidigung nehmen?

Die exzessive Verschuldungspolitik hat dazu geführt, dass Frankreich, gemessen an seiner Wirtschaftsleistung, die höchsten Staatsausgaben aller Industrienationen hat. Wie soll man also die nötigen Verteidigungsinvestitionen finanzieren?

Präsident Macron, der eine Führungsrolle in Europa beansprucht, weiß nur zu gut: Wenn die Staatsfinanzen nicht ins Lot kommen, verliert Frankreich weiter an politischem Gewicht in der EU.

Deshalb versucht Macron der Regierung Dampf zu machen. In seiner Ansprache an die Nation, die er nach dem Eklat im Oval Office hielt, sagte er, Frankreich brauche dringend Investitionen in die Verteidigung: "Privat aber auch staatlich finanzierte; und zwar, ohne dass die Steuern steigen." Dazu sei Folgendes nötig: "Reformen, Entscheidungen, Mut."

Zum Spagat gezwungen

Doch Macrons Partei hat keine Mehrheit mehr im Parlament. Sie stellt nicht den Regierungschef. Deshalb kann der Präsident nur zusehen, wie sich die aktuelle Regierung unter Premier Francois Bayrou abmüht, einerseits als ersten Schritt zur Besserung 50 Milliarden Euro einzusparen und gleichzeitig Geld für Verteidigungsinvestitionen aufzutreiben.

Nicht leicht, wo doch seine Minderheitsregierung vom Wohlwollen der Opposition abhängt. Um seine Gegenspieler von rechts außen und links gnädig zu stimmen, hatte Premier Bayrou vor ein paar Wochen eine Kommission einberufen, die die verhasste Rentenreform noch einmal auffädeln soll.

Im Raum steht die Rückkehr zur Rente mit 62. Allein die Vorstellung, welche Kosten das für die Rentenkasse bedeuten würde, bringt Fachleute um den Schlaf: Rente mit 62 bei einem Haushaltsdefizit von mehr als sechs Prozent des BIP? Abwegig, sagt der Chef des Rechnungshofes Moscovici.

Klarheit nach Krisensitzung?

Was also tun? Für Donnerstag hat das Wirtschaftsministerium zu einer Krisensitzung geladen. Es wird eine Art Branchentreffen der in der Rüstung tätigen Unternehmen. Im Gespräch ist, einen nationalen Verteidigungsfonds aufzulegen, in den Banken und Versicherer Geld einspeisen könnten. Auch Privatleute könnten entscheiden, gezielt in diesen Fonds zu sparen.

Aber reicht das, um das Verteidigungsbudget von derzeit zwei Prozent des BIP auf, wie Macron fordert, 3,5 Prozent des BIP zu steigern? Die Regierung müsste pro Jahr 30 Milliarden Euro zusätzlich aufbringen, ohne neue Schulden zu machen und, so das Mantra Macrons, ohne die Steuern anzuheben.

Am bequemsten wäre es für das hoch verschuldete Frankreich deshalb, wenn sich die EU durchringen und gemeinsame Schulden für die Verteidigung aufnehmen würde. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 18. März 2025 um 13:37 Uhr.