CRS in Echirolles außerhalb von Grenoble bei einer eine Hausdurchsuchung, Frankreich. (Archivbild vom 21.08.24)
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Bandengewalt in Südfrankreich Grenoble - eine Stadt kämpft gegen die Gangs

Stand: 03.10.2024 16:50 Uhr

Über Jahre konnten sich Drogengangs in Grenoble breitmachen. Nun liefern sie sich einen regelrechten Krieg - mit Toten und Verletzten. Einwohner und Staatsanwälte versuchen, mit kreativen Maßnahmen die Banden zu verdrängen.

Sie sitzen gelangweilt auf Pizzakartons: Vor dem kleinen Theater im Zentrum von Grenoble warten zwei Dealer auf Kundschaft. Das Viertel Alma sieht mit seinen leicht heruntergekommenen pastellfarbenen Häusern beschaulich aus. Aber hier befindet sich einer der größten Drogenumschlagplätze der Stadt.  

Bernard Cariou lebt seit fast 40 Jahren hier. Der engagierte Rentner, der noch immer im Onlinehandel arbeitet, beobachtet, wie sein Viertel sich verändert. "Viele Menschen zögern, auf die Straße zu gehen oder ihre Kinder draußen spielen zu lassen, sagt er. "Es eskaliert ja immer wieder."

Ihn und Fatima Marchand kennt hier jeder. Die beiden Alteingesessenen sind so etwas wie die guten Seelen des Viertels. An den Dealern gehen sie auf ihrem Spaziergang einfach vorbei. "Ich versuche, nicht so viel darüber nachzudenken", sagte Marchand. "Aber es ist schon so, dass die Läden früher schließen und wir abends nicht mehr auf die Straße gehen."  

Cannabis und Kokain werden gehandelt

So wie das Viertel Alma sind viele Teile der 150.000-Einwohner-Stadt in den Alpen fest in der Hand von Dealern. Vor allem Cannabis und Kokain werden in Grenoble gehandelt.  

Seit Anfang des Jahres eskaliert die Lage: Mehr als 20 Schießereien hat es gegeben - mit zwei Toten und zahlreichen Verletzten. Auch im Viertel von Cariou und Marchand. "Die Waffen sind eine neue Eskalation", sagt Marchand. "Drogenhandel kennen wir ja. Es gab immer mal Prügeleien oder maximal eine Messerstecherei. Aber jetzt reden wir von Maschinengewehren, die hier im Umlauf sind."

Grenoble ist ein lukrativer Markt

Éric Vaillant hat viel zu tun. Hinter riesigen Aktenstapeln tippt der energiegeladene, leitende Staatsanwalt in seinem Eckbüro im Justizpalast schnell eine E-Mail. Wegen seines Kampfes gegen die Gangs ist er inzwischen in ganz Frankreich bekannt.

Dass die Lage momentan so eskaliert, liege auch daran, dass ein wichtiger Drogenboss umgebracht wurde, sagt er. "Der ist vor ein paar Monaten aus dem Gefängnis freigekommen." Kurz danach sei er in der Nähe von Paris umgebracht worden. "Und das schwächt die Truppe, die den wichtigen Drogenumschlagsplatz Mistral in Grenoble betreut." 

Und den wollen nun andere erobern. Territoriale Streitigkeiten verschärfen sich. Denn Grenoble ist ein lukrativer Markt: 30.000 Euro täglich könne man in einem Coffeeshop umsetzen. Davon wollen viele profitieren. 

Dealern wird Sozialhilfe gestrichen

Vaillant versucht nicht nur mit klassischer Ermittlungsarbeit und verstärkten Kontrollen dagegen anzukämpfen, sondern auch mit kreativen Maßnahmen. Sein Ziel ist es, den Dealern das Leben möglichst unbequem zu machen.  

"Ich gebe ihre Einnahmen aus dem Drogenhandel, die wir aus den Ermittlungen kennen, an das Sozialamt weiter", erklärt er. Diese Summen würden dann in die Berechnung der Sozialleistungen miteinbezogen werden. "Und das heißt für viele, dass sie keine Sozialhilfe mehr bekommen."  

Bürgermeisterin: 110 Stellen bei der Polizei sind unbesetzt

Es ist eine riesige Aufgabe, denn die Gangs sind tief in der Stadt verankert. Im fünf Kilometer vom Zentrum entfernten Vorort Échirolles haben Dealer sogar fast ein ganzes Haus besetzt. Vor dem Eingang sitzt ein Aufpasser, ein sogenannter Chouf, der die Dealer vor der Polizei warnt.

Hinter ihm, drinnen im Gebäude, werden die Drogen verkauft. Bürgermeisterin Amandine Demore ist beunruhigt. "Es ist die Hölle. Unten in den Gebäuden wird gedealt, an den Treppenaufgängen." Das sei der Alltag für viele hier, die jeden Tag mit den Dealern und den vollgedröhnten Kunden konfrontiert werden würden. Jetzt lässt sie das Gebäude räumen. Die Bürgermeisterin will sich nicht unterkriegen lassen.

Sie hat mehr als 100 Überwachungskameras in Échirolles installiert. Sie sieht aber auch den französischen Staat in der Pflicht. Die 37.000-Einwohner-Kommune hat kein vollwertiges, rund um die Uhr besetztes Polizeikommissariat mit Polizisten, die auf Streife gehen. "Wir erwarten von der Regierung eine bessere Ausstattung", sagt sie. "Hier im Großraum Grenoble fehlen mehr als 110 Polizisten."

"Wir sind schließlich hier zu Hause"

Wie im Drogenhotspot Marseille hat die Regierung seit dem Sommer eine Spezialeinheit der Polizei in Grenoble stationiert, um kurzfristig auf die Eskalation zu reagieren. Im Viertel Alma gehen die Dealer, die auf Pizzakartons sitzen, an diesem Nachmittag völlig ungestört ihren Geschäften nach. Mit dem ersten Handschlag wird das Geld übergeben, mit dem zweiten die Ware.  

Die beiden alteingessenen Bewohner Bernard Cariou und Fatima Marchand sind überzeugt, dass sich langfristig etwas tun muss. Zum Beispiel durch mehr Aktivitäten für Kinder und Jugendliche. Die beiden engagieren sich.

Sie organisieren Veranstaltungen ganz bewusst an den Orten, wo gedealt wird. "Wir machen das trotzdem", sagt Marchand. "Wir sind schließlich hier zu Hause. Wir wollen uns nicht unterkriegen lassen von dieser Angst." Sie wollen möglichst viele Nachbarn zusammenbringen, um gemeinsam ihr Viertel zurückzuerobern.  

Diese und weitere Reportagen sehen Sie am Sonntag, 06.10.2024, um 12:45 Uhr im Europamagazin im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet das Europamagazin am 06. Oktober 2024 um 12:45 Uhr.