Griechenland Regierung durch Zugunglück-Recherche unter Druck
Das Zugunglück vom März 2023 mit 57 Toten beschäftigt Griechenland bis heute: Kritik an der Unfallaufklärung reißt nicht ab, die Regierung muss sich Vertuschungsvorwürfen stellen - und nun einem Misstrauensvotum.
Der Bahnhofsvorsteher, der via Funk zu einem Lokführer sagt: "Du kannst fahren, du kannst fahren" und damit zwei Züge auf ein Gleis schickt - die dann frontal kollidieren. Diese Tonaufzeichnung war wenige Stunden nach dem Zugunglück am 1. März 2023 veröffentlicht worden - ein Beweisstück, das offenbar gar keines ist.
Die griechische Regierung hat seitdem immer wieder auf "menschliches Versagen" seitens des Bahnpersonals verwiesen. Nur: War vielleicht alles doch ganz anders? Der Journalist Vasilis Lambropoulos von der Tageszeitung "To Vima" berichtet jetzt, die Tonaufzeichnung sei gefälscht. Denn es soll ein Zusammenschnitt sein, in dem der Bahnhofsvorsteher mit einem gar nicht am Unglück beteiligten Zug spricht.
Jetzt steht der Vorwurf im Raum, jemand habe die Tondatei absichtlich verändert. "Diese Ton-Montage hat offenbar dazu gedient, die politische Verantwortung zu vertuschen, indem das Versagen des Bahnhofvorstehers weiter unterstrichen wird", sagt Lambropoulos.
Angehörige glauben an Vertuschung
Für Teile der Opposition im griechischen Parlament ist es Grund genug, jetzt die Misstrauensfrage gegen die Regierung zu stellen. Und Angehörige wie Maria Karistianou, die bei den Unglück ihre Tochter verloren hat, glauben an ein System. Für sie ist es kein Zufall, dass die Unglücksstelle schnell zuasphaltiert worden ist, noch bevor von allen Opfern DNA-Spuren gesichert werden konnten. "Das Verbrechen soll organisiert vertuscht werden. Nur Profis sind dazu fähig", sagt Karistianou. Für die Angehörigen sei das schrecklich. "Das mit der Tondatei spricht noch mehr dafür, dass die ganze Wahrheit ans Licht kommen muss. Dass alle, von ganz oben bis ganz unten, bestraft werden müssen für dieses Verbrechen."
Griechenlands Regierung bezeichnet die neuen Anschuldigungen als "gegenstandslos". Zuletzt, am ersten Jahrestag des Unglücks, hat Mitsotakis seinen Aufklärungswillen unterstrichen: Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss habe Dutzende Zeugen befragt, mit Hunderten an Beweisen.
"Die Justiz wird Licht ins Dunkel bringen, so wie wir es uns alle wünschen", versprach er. "Es geht bereits schnell und umfassend voran. Die ersten werden bald zur Rechenschaft gezogen. Ich habe volles Vertrauen, dass die Justiz dem Fall gerecht wird."
EU-Staatsanwaltschaft ermittelt
Angeklagt und teils in Untersuchungshaft sind mehrere Bahn- und Behördenmitarbeiter. Angehörige und Experten sehen aber eine Mitschuld bei den politischen Verantwortlichen: EU-Gelder für Sicherheitstechnik waren offiziell investiert worden. Doch zum Unglückszeitpunkt funktionierte die digitale Kontrolle offenbar schon lange nicht mehr.
Die Europäische Staatsanwaltschaft rund um Laura Kövesi hat sich eingeschaltet und ermittelt wegen Veruntreuung. Direkt gegen Politiker - etwa ehemalige Verkehrsminister - kann sie aber nicht ermitteln. Das ist ausschließlich die Sache Griechenlands.
"Das Unglück wäre nie passiert, wenn die Projekte umgesetzt worden wären. Aber wir sind bei unseren Ermittlungen förmlich blockiert", sagt Kövesi. "Und deshalb können wir die Wahrheit nicht herausfinden. Dazu müsste die griechische Verfassung geändert werden."
In einer Online-Petition fordern inzwischen 1,4 Millionen Griechinnen und Griechen: Die Immunität von Ministern und Ex-Ministern soll aufgehoben werden. Bisher ist das am Parlament gescheitert, in dem Mitsotakis' Partei die absolute Mehrheit hält. Entsprechend wenig dürfte ihm auch das Misstrauensvotum anhaben.