Zugunglück in Griechenland Eine Katastrophe mit Ansage?
Nach dem schweren Zugunglück in Griechenland spricht die Regierung von menschlichem Versagen. Die Eisenbahngewerkschaft kritisiert dagegen "chronische Vernachlässigung" der Infrastruktur und kündigte Streiks an.
Bis in den späten Abend hinein liefen die Such- und Rettungsaktionen an der Unglückstelle. Dann wurden sie für die Nacht unterbrochen. Seit dem frühen Morgen geht es weiter. Immer noch werden laut Behördenangaben 35 Personen vermisst. Sie finden sich weder auf der Liste der Toten noch der Überlebenden. Die Opferzahlen - derzeit ist von mindestens 42 Toten die Rede - könnten also noch weiter steigen.
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch waren kurz vor Mitternacht zwei Züge frontal aufeinander geprallt. Ein Intercity, von Athen aus auf dem Weg nach Thessaloniki, mit rund 350 Menschen an Bord und ein Güterzug. Auf Höhe der Stadt Larissa waren sie beide gleichzeitig auf einem Gleis unterwegs, obwohl es dort zwei Gleistrassen gibt. Videoaufnahmen einer Überwachungskamera zeigen eine grelle Explosion in stockdunkler Nacht.
Temperaturen von bis zu 1300 Grad Celsius
Die Rettungskräfte fanden zwei völlig ineinander verkeilte Züge vor, mussten sich mit schwerem Gerät, mit Spürhunden und mit Kränen vorarbeiten. Mehrere Waggons sprangen bei der Kollision aus den Gleisen, mindestens drei davon fingen Feuer. "Die Temperaturen erreichten bis zu 1300 Grad Celsius, was es schwierig macht, die Menschen zu identifizieren, die drin waren", sagte Feuerwehrsprecher Vassilis Varthakoyiannis.
Nach einem Feiertag in Griechenland waren viele junge Menschen von Athen nach Thessaloniki in dem Intercity. Es ist die wichtigste Zugstrecke des Landes. Bislang gibt es keine konkreten Angaben darüber, wie schnell die beiden Züge unterwegs waren, als sie kollidierten. Das griechische Fernsehen berichtete, es seien mehr als 140 Kilometer pro Stunde gewesen.
Überlebende sagten, etliche Insassen seien durch die Wucht des Zusammenpralls durch Waggonfenster geschleudert worden. Einige Leichen wurden 30 bis 40 Meter von den Waggons entfernt geborgen. Überlebende hätten sich verzweifelt zu befreien versucht, als der Personenzug umgekippt und auf ein Feld neben den Bahngleisen gestürzt sei.
Stationsvorsteher soll Züge auf die Strecke geschickt haben
Wie es auf der Strecke zwischen Athen nach Thessaloniki zu dem tödlichsten Zugunglück Griechenlands kommen konnte, ist weiterhin unklar. Doch inzwischen erhärtet sich der Verdacht gegen einen Mitarbeiter der Bahn, der für den Streckenabschnitt zuständig war. Der Stationsvorsteher aus der nahe gelegenen Stadt Larissa wurde festgenommen, wie die Polizei mitteilte.
Ein Kollege, der an dem Abend mit ihm zusammen war, berichtete, der Vorsteher habe beide Züge auf die Strecke geschickt und seinen Fehler zu spät bemerkt. "Das System hat gut funktioniert. Der Fehler liegt ganz bei ihm", so der Mitarbeiter. "Er hat es mir gegenüber zugegeben. Ein rein menschlicher Fehler."
Bahnarbeiter und Mitarbeiter der Athener U-Bahn streiken
Dennoch gibt es von Teilen der griechischen Eisenbahngewerkschaft auch große Kritik an Sicherheitslücken und falschen Investitionen. Bereits vor einem Jahr hatte die Gewerkschaft darauf hingewiesen. Zitat damals: "Wir werden nicht rumsitzen und warten, bis es zu einem Zugunglück kommt."
Konkret lautet der Vorwurf, dass es auf der Strecke keine funktionierenden, digitalen Signalanlagen gibt. "Nichts Funktioniert. Alles muss manuell erfolgen, auf der gesamten Strecke Athen Thessaloniki", so Kostas Genidounias, Präsident der Lokomotivführer in Griechenland. Es gebe keine funktionierenden Signalanlagen. "Würden sie funktionieren, dann könnten die Lokführer die roten Signale sehen und rechtzeitig anhalten."
Die Bahnarbeiter kündigten für heute in einen 24-stündigen Streik an. Damit wolle die Belegschaft gegen die chronische Vernachlässigung der Eisenbahnstrecken durch diverse Regierungen protestieren, teilte die griechische Gewerkschaft der Eisenbahner mit. "Leider sind unsere jahrelangen Forderungen nach der Einstellung von Personal, besserer Schulung und insbesondere dem Einsatz moderner Sicherheitstechnologie immer im Papierkorb gelandet."
Auch die Angestellten der Athener U-Bahn wollen heute für 24 Stunden ihre Arbeit niederlegen. Sie hätten mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie die Eisenbahner, erklärten sie. In Athen kam es am Abend zu einem Protestmarsch vor dem Sitz der staatlichen Eisenbahn vor das Parlament.
Demonstranten vor dem Hauptquartier der Eisenbahngesellschaft in Athen
Erste politische Konsequenzen
Inzwischen gibt es auch erste politische Konsequenzen: Griechenlands Verkehrsminister Kostas Karamanlis kündigte seinen Rücktritt an - wohl auf Drängen von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis.
Er tue dies aus "Respekt vor dem Gedenken an jene Menschen, die auf so ungerechte Weise gestorben" seien, erklärte Karamanlis. Er habe zwar "jede Anstrengung" unternommen, um ein Schienennetz zu verbessern, das "in einem Zustand ist, das dem 21. Jahrhundert nicht angemessen" sei. Doch "wenn so etwas Tragisches geschieht, ist es unmöglich, so weiterzumachen, als ob nichts passiert wäre".
Parlamentswahlen werden wohl verschoben
Mitsotakis erklärte nach dem Unglück, man werde die Ursache des Unglücks herausfinden "und alles tun, was in unseren Händen liegt, damit so etwas nie wieder passiert." Der Ministerpräsident kündigte eine unabhängige Untersuchung an und fügte hinzu, zu dem Unglück sei es anscheinend "hauptsächlich durch einen tragischen menschlichen Fehler" gekommen. Die Regierung ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.
Das Unglück wird wohl auch Auswirkungen auf die anstehenden Parlamentswahlen in Griechenland haben. Diese waren ursprünglich für Anfang April angedacht. Und werden jetzt wohl auf Mai oder gar Juli verschoben. Die Regierung von Mitsotakis muss sich nun unbequemen Fragen stellen.
Mit Informationen von Moritz Pompl, ARD-Studio Athen