Havarie der "Fremantle Highway" "Niemand will so eine Giftquelle in der Nähe haben"
Ein vorübergehender Ankerplatz für die "Fremantle Highway" ist gefunden - aber wie geht es weiter? Greenpeace-Chemie-Experte Manfred Santen sagt im Interview, wie ein Hafen ausgerüstet sein müsste - und welche Defizite es im Umgang mit solchen Havarien gibt.
tagesschau.de: Wie muss ein Hafen ausgestattet sein, in den ein vielleicht noch brennendes, mit Schadstoffen belastetes Schiff geschleppt wird?
Manfred Santen: Wenn ein brennender Frachter angelegt hat und man ihn gezielt löscht, braucht man Möglichkeiten, das Löschwasser abzupumpen, so dass es nicht ins allgemeine Hafenwasser gelangt. Man muss es reinigen können, sodass man die Schadstoffe abtrennen und getrennt entsorgen kann.
Dazu braucht man idealerweise ein abschottbares Hafenbecken, große Pumpen, große Aktivkohle-Filter und das entsprechende Know-how von Sanierungsfirmen. Das ist im Hafen deutlich einfacher hinzukriegen, als auf offener See. Insofern gibt es keine vernünftige Alternative dazu, den Frachter jetzt möglichst schnell in einen Hafen zu schleppen.
"Das sollte machbar sein"
tagesschau.de: Wie geht es nach dem Löschen weiter?
Santen: Dann hat man einen Frachter mit 3800 verkohlten Autos und Resten davon. Die müssen Sie entsorgen, wie bei jedem großen Brandschaden. Man wird also schauen, was kann man wie entsorgen? Gibt es Metalle, die nicht kontaminiert sind, die man einschmelzen kann? Was kommt auf Sondermülldeponien? Aber das ist dann Sache der Brand- und Schadenssanierung. Dafür gibt es Vorschriften und ausgerüstete Spezialfirmen - das sollte eigentlich machbar sein.
tagesschau.de: Und was passiert mit dem Schiff?
Santen: Ich nehme an, dass das Schiff dann nicht mehr verkehrstüchtig ist und man es abwracken muss. Das macht man dann tunlichst nicht in Bangladesch oder Indien, wie mit so vielen anderen Schiffen, sondern in dem Hafen, in dem es sich befindet. Auch dafür gibt es Methoden, aber das wird sehr kostspielig.
Es erfordert Zeit und Vorbereitung, aber das sollte eigentlich in Ländern wie Deutschland oder den Niederlanden mit all den Erfahrungen auf dem Gebiet der Schadstoffsanierung möglich sein.
"Eemshaven geeigneter als Emden"
tagesschau.de: Im Gespräch sind das niederländische Eemshaven und Emden. Sind dort die Voraussetzungen gegeben?
Santen: Eemshaven scheint am ehesten geeignet zu sein. Der dorthin ist kürzer und der Wind weht dort aufs Meer hinaus, sodass weniger Menschen gefährdet wären als in Emden. In jedem Fall muss man versuchen, die Rauch- und die Gasentwicklung so schnell wie möglich zu stoppen.
"Der kritische Punkt ist der Antransport"
tagesschau.de: Die Leute vor Ort sind, wie zu hören ist, besorgt.
Santen: Das verstehe ich - niemand will so eine Giftquelle in der Nähe haben. Ich konnte mir in den vergangenen Tagen selbst einen Eindruck davon verschaffen, wie stark der Geruch ist, den die Schadstoffe an Bord freigesetzt haben. Das gibt eine Vorahnung der Gefährdung, die von ihnen für die Umwelt ausgeht.
Der kritische Punkt ist der Antransport. Wenn das Schiff zum und in den Hafen geschleppt wird, quillt immer noch Rauch heraus. Die Anwohner müssen also wie bei anderen Bränden auch geschützt werden, müssen eventuell Türen und Fenster schließen.
Man hat im Fall der "Fremantle Highway" offenbar abgewartet, bis die Rauchentwicklung deutlich nachlässt, und das gibt jetzt die Chance, den Frachter in einen Hafen zu schleppen. Wenn das Schiff gelöscht ist, keine Rauchschwaden mehr herauskommen und auch kein Löschwasser mehr ins Hafenbecken gelangt, kann man alle weiteren Arbeiten den Ingenieuren und Spezialfirmen überlassen.
tagesschau.de: Die Frage ist ja auch, was die Alternative wäre.
Santen: Wenn man das nicht macht, sondern den Frachter im Wattenmeer liegen lässt, bis er womöglich auseinanderbricht, dann kommt es zu einer Katastrophe für die Umwelt, deren Ausmaß nicht absehbar ist. Deswegen gibt es keine vernünftige Alternative dazu, das Schiff in den Hafen zu ziehen.
"Das ist eine Wahrscheinlichkeitsrechnung"
tagesschau.de: Wenn man sich das Ausmaß des Schiffsverkehrs in der Nordsee anschaut, ist ein solcher Zwischenfall schon statistisch kein Zufall. Haben die Behörden dafür die notwendigen Vorkehrungen getroffen?
Santen: Die Verkehrsroute ist leider ziemlich stark befahren. Wir hatten mehrere Havarien in den vergangenen Jahren und haben damals schon gefordert, dass wir an der niedersächsischen und auch an der niederländischen Küste Häfen brauchen, die genau für solche Notfälle ausgerüstet sind, damit man nicht lange suchen muss.
Diese gibt es inzwischen, aber uns ist nicht bekannt, wo sie sind und ob alle erforderlichen Einrichtungen vorhanden sind. Dort müsste das Becken so groß sein, dass es solche Frachter aufnehmen kann.
Wenn man pro Jahr mehr als eine Million Autos exportiert, dann muss man damit rechnen, dass so etwas passiert. Das ist eine Wahrscheinlichkeitsrechnung. Bis dahin muss man immer im Einzelfall dafür sorgen, dass die erforderlichen Maßnahmen schnellstmöglich umgesetzt werden.
"Verkehrswege viel zu dicht an den Inseln"
tagesschau.de: Wo sehen Sie noch Defizite?
Santen: Nachdem vor vier Jahren das Containerschiff "MSC Zoe" havariert war und hunderte Container über Bord gefallen sind, haben wir darauf hingewiesen, dass die Verkehrswege viel zu dicht an den Inseln und am Wattenmeer vorbeiführen. Diese großen Fracht- und Containerschiffe müssten weiter nördlich fahren, dann hat man nicht so eine Gefährdung des Wattenmeers.
Einiges hat sich nach der Havarie des Holzfrachters Pallas 1998 vor Rømø, Sylt und Amrum getan. Damals hat man das Havariekommando ins Leben gerufen, das Ölbekämpfungs- und andere Spezialschiffe hat, die mit Havarien umgehen können. Wir sehen an dieser Havarie, dass die Ausrüstung des deutschen Havariekommandos und ihre Zusammenarbeit mit der niederländischen Küstenwache in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden ist.
Es gibt aber weitere Punkte, bei denen wir eine Verbesserung brauchen. Warum wissen wir erst nach Tagen, wie viele Elektroautos auf dem Frachter sind? Die Feuerwehren müssen doch so schnell wie möglich wissen, was an Bord ist. In anderen Ländern sind Frachtpapiere öffentlich zugänglich. Dann weiß man in wenigen Minuten, womit man es zu tun hat. Hier scheint es nicht so zu sein, und das behindert die Bergungsarbeiten.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de