Patenschaften für Iraner "Aufmerksamkeit für das Unrecht schaffen"
Mehr als 200 Politiker wollen mit sogenannten Patenschaften politisch Inhaftierten im Iran helfen. Was das bringen kann, erklärt SPD-Politiker Mansoori im tagesschau.de-Interview und verweist auf erste Erfolge.
tagesschau.de: Mehr als 230 Politikerinnen und Politiker aus Bundestag, Landtagen und Europaparlament haben politische Patenschaften für inhaftierte und von der Todesstrafe bedrohte Menschen im Iran übernommen. Was genau steckt hinter den Patenschaften für die Gefangenen?
Kaweh Mansoori: Im Grunde geht es darum, Aufmerksamkeit für konkrete Schicksale zu schaffen, weil dadurch der Protest nicht mehr anonym ist. Das sind ganz konkrete Personen, mit ganz konkreten Erfahrungen und Biografien, um die es da geht, und mit denen man sich dann identifizieren kann.
In meinem Fall sind das Farzaneh Ghareh Hassanlou und ihr Ehemann Dr. Hamid Ghareh Hassanlou. Wenn ich das erzähle, spüre ich schon auch, dass es da auch eine ganz andere Form der Betroffenheit gibt, weil man sich viel besser vorstellen kann, wer die Betroffenen dieser ganzen staatlichen Repression sind.
Die Patenschaften schaffen außerdem die internationale Aufmerksamkeit für das Unrecht, das das Regime Menschen antut, und für das es sich plötzlich rechtfertigen muss. Also die Briefe, die wir an die Botschaft schicken, die Berichte darüber in den Medien, das hilft alles, um das iranische Regime unter Rechtfertigungsdruck zu setzen. Und vor allem treibt es natürlich den Preis hoch für diese ganzen kleinen Gerichtsverfahren, die sie da betreiben.
Auch das iranische Regime weiß, sie müssen wenigstens versuchen, den Anschein von Rechtsstaatlichkeit aufrecht zu erhalten. Und je mehr wir über diese Patenschaften Druck aufbauen, desto schwieriger wird das für sie angesichts von 20.000 politischen Gefangenen. Es gab schon erste Fälle, wo Urteile aufgehoben wurden, wo Leute zumindest auf Kaution freigekommen sind oder wo Hinrichtungen ausgesetzt worden ist.
tagesschau.de: Wie genau läuft solch eine Patenschaft praktisch ab?
Mansoori: Das erste ist natürlich das sogenannte Matching. Man bekommt dann eine kleine Akte mit den Grundinformationen zum Fall. Jeder kriegt im Grunde auch einen Musterbrief, der an den Botschafter adressiert ist. Danach wird jeder Fall relativ individuell. Ich empfehle immer allen Patinnen und Paten möglichst schnell zu versuchen, Kontakt aufzubauen zu Angehörigen, zu Familienmitgliedern, um auch regelmäßig Updates zu bekommen.
"Da ist im Verfahren gravierend gepfuscht worden"
tagesschau.de: Was wäre denn ein Erfolg einer solchen Patenschaft aus ihrer Sicht? Freilassung, Hafterleichterung oder erst einmal eine Aussetzung der Vollstreckung der Todesstrafe?
Mansoori: Im Fall meiner Paten sind die Urteile aufgehoben worden. Den beiden wurde ja eine Verwicklung in die Tötung eines Basij-Milizionären vorgehalten. Aber sie durften im Verfahren keinen Anwalt frei wählen. Ein Entlastungszeuge wurde nicht gehört. Der hätte sogar aussagen können, dass sie nicht nur nicht in die Tötung involviert waren, sondern im Gegenteil sogar Erste Hilfe vor Ort geleistet haben. Da ist im Verfahren gravierend gepfuscht worden und am Ende basierte das Urteil allein auf einem selbst belastenden Geständnis, das erpresst worden ist.
Das ist natürlich rechtsstaatlich überhaupt nicht haltbar. Deswegen haben wir auch so einen großen Druck aufgebaut. Und am Ende musste sogar das iranische Regime, das sich ja sonst nicht für rechtsstaatliche Grundsätze interessiert, vor diesem Druck kapitulieren und erst mal die Urteile aufheben.
tagesschau.de: Lassen sie uns auf einen eher kritischen Aspekt dieser Patenschaften blicken. Der Druck, der online aufgebaut wird, ist bemerkenswert. Besteht nicht trotzdem die Gefahr, dass er dann auch auf den Social-Media-Plattformen "hängen bleibt" und langfristig versandet?
Mansoori: Ich glaube, der Druck und die Aufmerksamkeit sind erst mal hilfreich. Das Ganze muss aber politisch begleitet werden und deswegen belassen es ja die Abgeordneten, die solche Patenschaften übernehmen, auch nicht bei den Patenschaften selbst, sondern, wir haben das Thema Iran ja regelmäßig im Deutschen Bundestag. Auch da werden konkrete Fortschritte erzielt. Meine Fraktion hat zum Beispiel letzte Woche beschlossen, dass wir die deutsch-iranische Parlamentariergruppe schließen wollen, auch als ein Signal nach draußen, dass wir unter diesen Umständen überhaupt nicht bereit sind, einen formellen Austausch mit iranischen Repräsentantinnen und Repräsentanten festzuhalten. Ich würde diese Patenschaften nie auf pure Symbolik reduzieren wollen. Ich glaube, sie sind ein aktiver Beitrag dafür hier in Europa, wo viele ja nicht wissen, was da wirklich im Iran los ist.
Mansoori fordert härtere Maßnahmen
tagesschau.de: Blicken wir auf die aktuelle Lage. Am vergangenen Wochenende erst kam es zu einer weiteren Hinrichtung, dieses Mal des britisch-iranischen Politikers Akbari. Dem folgte ein Aufschrei, internationale Empörung, Botschafter wurden einbestellt. Bringen solche diplomatischen Protestnoten irgendetwas? Kritiker fordern weit mehr.
Mansoori: Ich bin ein Unterstützer härterer Maßnahmen. Wir müssen natürlich differenzieren, welche Maßnahmen sich gegen wen richten. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigt, dass insbesondere die Sanktionierung des Wirtschaftsverkehrs vor allem die Zivilbevölkerung getroffen hat. Das Regime ist mittlerweile auch über die Auslandsdevisen in der Lage, fast jede Wirtschaftssanktion, die ergriffen wird, relativ bequem zu umgehen. Die Menschen im Iran zahlen den Preis. Wenn ich schärfere Sanktionen fordere, dann meine ich vor allem personenbezogene Sanktionen.
Eine konkrete Forderung wäre, die 227 Parlamentsabgeordneten, die für die Hinrichtung der politischen Gefangenen gestimmt haben, auf die Sanktionsliste aufzunehmen. Das zweite wäre die Terrorlistung der Armee der Revolutionswächter. Drittens muss dazu gehören, unsere Behörden auch in die Lage zu versetzen, diese illegalen Vermögenswerte tatsächlich auch zu identifizieren, damit diese Sanktionsregime kein Papiertiger sind, sondern damit sie vollzogen werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind aus meiner Sicht humanitäre Visa. Warum? Wir brauchen für eine demokratische Revolution im Iran auch eine demokratische Opposition, die sich nicht wirklich im Iran organisieren und öffentlich auftreten kann. Das kann eigentlich nur dadurch gehen, dass wir Intellektuellen, Künstlerinnen und Künstlern, Kulturschaffenden die Möglichkeit geben, im Ausland Bühnen und Aufmerksamkeit zu bekommen, und für ihre Ziele zu werben.
Mir, als jemandem, der auch Wurzeln im Iran hat, imponiert das total. Dass sich in so einem heterogenen Land Menschen mit unterschiedlichen Sprachen, kulturellen Hintergründen, ethnischen Zugehörigkeiten zusammenschließen und die gemeinsame Sache in den Vordergrund stellen. Und ich finde, wenn die das können, muss uns das auch gelingen.
Keine normalen Beziehungen denkbar
tagesschau.de: Wie bewerten Sie in diesen Zeiten die Meldung der deutsch-iranischen Industrie- und Handelskammer, wonach Deutschland nach wie vor der wichtigste Handelspartner für den Iran in Europa ist? Ist das nicht, gelinde gesagt, paradox?
Mansoori: Ja, das ist es. Aber man muss auch da sich mal die absoluten Zahlen anschauen. Innerhalb Europas erweckt das den Eindruck, als würden wir da über großes Handelsvolumen sprechen. In absoluten Zahlen ist das natürlich verglichen mit anderen Handelspartnern des Iran verschwindend gering. Trotzdem darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir vor bestimmten Maßnahmen zurückschrecken, weil wir ein wirtschaftliches Interesse haben. Gleichzeitig wäre ich an der Stelle auch im Interesse der Bevölkerung im Iran für eine differenzierte Betrachtung. Wenn wir ein vollständiges Handelsembargo gegenüber dem Iran praktizieren würden, träfe das am härtesten die Zivilbevölkerung. Ich bin bereit, dass wir solch einen Schritt diskutieren, aber wir müssen uns schon auch über die Konsequenzen im Klaren sein.
tagesschau.de: Viele fordern unter anderem das Europäische Parlament dazu auf, die iranischen Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen. Welche Konsequenzen hätte solch ein Schritt?
Mansoori: Am Ende wäre das vor allem ein wirkungsvolles Signal an den Iran, dass man scharfe Sanktionen auf den Weg bringt. Es ist ja in den letzten Wochen auch viel über die formellen Voraussetzungen für so eine Terrorlistung auf EU-Ebene gesprochen worden. Die Voraussetzungen sind alle begründbar, wenn man diese Entscheidung treffen will. Mein Eindruck ist, dass manche EU-Mitgliedsländer diese Entscheidung nicht treffen wollten, um sich eine Tür offen zu halten für mögliche weitere Verhandlungen mit dem Iran. Ich halte das für völlig ausgeschlossen, dass wir in normale Beziehungen mit einem Land eintreten, in dem 20.000 politischen Gefangenen die Hinrichtung droht. Und deswegen ist das ein starkes Signal, wenn das Europäische Parlament mit großer Mehrheit sagt, sie wollen diese Listung.
Das Gespräch führte Katja Keppner, tagesschau.de