Interview in Berlusconi-Sender Lawrow muss keine Fragen fürchten
In einem italienischen TV-Sender konnte Russlands Außenminister Lawrow über die russische Begründung für den Krieg gegen die Ukraine monologisieren. Der Sender gehört Ex-Premier Berlusconi - und der schätzte Putin lange.
Silvio Berlusconi habe nichts gewusst. An dem Abend, als das Interview mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow ausgestrahlt wurde, habe er in seiner Villa im lombardischen Arcore Gäste empfangen - so versichern es Insider den italienischen Medien. Doch "Rete 4" gehört zum Berlusconi-Medienkonzern, seit Ende 2021 firmiert er unter dem neuen Namen "Media for Europe" mit Sitz in Amsterdam.
Der frühere Regierungschef Berlusconi pflegte jahrelang eine ganz besondere Freundschaft zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Man fuhr gemeinsam in den Urlaub, Schnappschüsse zeigen zwei gut gelaunte Männer, die sich herzlich zugetan sind.
2010 herrschte noch Heiterkeit zwischen Berlusconi und Putin - hier bei einem Treffen in Gerno (Italien)
"Tief enttäuscht von Putin"
Vor drei Wochen aber ging Berlusconi auf Distanz zu Putin. Er könne und wolle nicht verheimlichen, dass er vom Verhalten Putins "tief enttäuscht und betrübt" sei - Putin habe gegenüber "der ganzen Welt eine sehr schwere Verantwortung auf sich geladen".
Er habe Putin immer als einen Mann der Demokratie, des Friedens wahrgenommen; was gerade geschehe, sei "wirklich schade".
Eine gänzliche Abkehr von Putin sei das nicht gewesen, meint der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rom, Tobias Mörschel. Berlusconi habe - anders als andere westliche Politiker - nicht gefordert, dass Putin vor den Internationalen Strafgerichtshof gehöre. "Er ist enttäuscht über Putin, das war's aber auch."
Eine Bühne für 42 Minuten
Zu bester Sendezeit durfte sich nun 42 Minuten lang der russische Außenminister Sergej Lawrow in der Sendung "Zona bianca" erklären. Es war sein erstes Interview in einem westlichen Medium seit Kriegsbeginn.
Moderator Giuseppe Brindisi gab Stichworte vor, Lawrow monologisierte die russische Sicht des Ukraine-Krieges. Das Massaker an Zivilisten in Butscha nennt er Fake, Russland wolle die Menschen im Osten der Ukraine vor einer angeblichen Nazifizierung retten.
Kein Interview - eine "Volksrede"
Kurz nach der Ausstrahlung hagelt es erste Kritik, vor allem am Inhalt, aber auch an der Form. Ministerpräsident Mario Draghi sagte, es habe sich nicht um ein Interview gehandelt, sondern um eine "Volksrede".
Man müsse sich die Frage stellen, ob man eine Person einladen sollte, die darum bittet interviewt zu werden, ohne jegliche Gegenfrage - und zwar für ein Gespräch von einer bestimmten Länge, nicht nur von einer oder zwei Minuten. Das, so Draghi weiter, "ist professionell keine gute Leistung und lässt komische Gedanken aufkommen. Das ist wirklich nicht großartig."
Viele Politiker in Italien sehen es wie Draghi, sprechen von Propaganda. Doch andere, wie Oppositionsführerin Giorgia Meloni von den postfaschistischen Fratelli d´Italia, wollen nicht dem Sender, also Mediaset, die Schuld geben. Die Aussagen habe Lawrow getroffen.
Lawrow nimmt die Gelegenheit wahr
"Rete 4" ist eigentlich ein kleiner Sender, seit 1984 gehört er zum Berlusconi-Imperium. Seit drei Wochen, so ließ die Redaktion von "Zona Bianca" verlauten, habe man die Idee gehabt, Lawrow zu interviewen. Grünes Licht kam am vergangenen Donnerstag.
Offensichtlich, so Mörschel, habe die Redaktion viele Italienerinnen und Italiener im Blick gehabt, denn nicht alle sind sich einig über die richtigen Maßnahmen im Ukraine-Krieg.
Die Hälfte der Bevölkerung Italiens, so Mörschel, sei dagegen, schwere Waffen zu liefern, nur knapp 40 Prozent würden das befürworten. Ähnliches gelte auch für andere wichtige Fragen mit Blick auf die Zukunft der Ukraine: "Es ist eine Minderheit der Italienerinnen und Italiener, die dafür sind, dass die Ukraine schnell der EU beitreten solle."
Gerade dieses Publikum könnte der private Fernsehsender angesprochen haben. Und Lawrow wusste schon vorher, dass seine Antworten vollständig wiedergegeben würden. Dem hatte die Redaktion zugestimmt.