Rechte Parteien im Aufwind Warum Italiens Demokratie bröckelt
Italiens rechte Parteien haben gute Chancen, bei der Parlamentswahl im September die meisten Stimmen zu bekommen. Denn die Wähler im Land sind frustriert - und ein Ranking stuft Italiens Demokratie als "unvollständig" ein.
Rund einen Monat vor der Wahl betritt Giorgia Meloni, die Spitzenkandidatin der postfaschistischen Partei "Fratelli d'Italia", in Ancona in der Provinz Marken die Bühne. Etwa eine Stunde lang wird sie ihre Anhänger mobilisieren; gut 2000 Menschen sind gekommen, um ihr zuzuhören. Meloni wettert gegen die Globalisierung, kritisiert die EU, auch wenn sie nicht den Austritt Italiens fordert. Sie erklärt sich und die "Fratelli d'Italia" zu den einzig wahren Vertretern der italienischen Bürger. Im Gegensatz zur Linken spreche sie über die aktuellen Probleme der Italiener, sagt Meloni. Sie versucht bei diesem Auftritt, seriös zu wirken: feminin, zupackend und entschlossen.
Es ist der offizielle Wahlkampfauftakt der "Fratelli d'Italia", auch wenn die großformatigen Plakate mit Melonis Porträt schon seit Wochen in allen Städten Italiens hängen. Ihr Slogan: "Pronti" - also bereit. Bereit zu regieren.
Nur einen Tag später eröffnet auch Matteo Salvini von der rechten Lega seinen Wahlkampf - ebenfalls in den Marken, in der Stadt Pesaro. Hemdsärmelig stellt sich Salvini den Fragen der anwesenden Journalisten, verspricht gerechtere Steuern, mehr Sicherheit für die Bürger und Arbeitsplätze.
Auf der Suche nach Stabilität
Es ist vor allem ein Versprechen für klare Worte, für mehr Stabilität in Italien, mit dem die Rechte in Italien in diesem Wahlkampf punkten will. Die Rechnung scheint aufzugehen: Melonis "Fratelli d'Italia" sind momentan stärkste Partei, ihr Rechtsbündnis zusammen mit Salvinis Lega und der Berlusconi-Partei Forza Italia hat gute Chancen, bei der Wahl im September zu triumphieren.
Das alles, obwohl Meloni in ihrer Jugend in einer neofaschistischen Partei aktiv war, sich nie ernsthaft vom Faschismus distanziert hat. Obwohl Salvini noch vor gut zwei Jahren, als er die damalige Regierung stürzte und hoffte, selbst Ministerpräsident zu werden, die Italiener aufforderte, ihm "pieni poteri" zu geben - die gesamte Macht. Eine klare Anspielung an Benito Mussolini, den faschistischen Diktator.
Hier lodert die Flamme noch im Parteisymbol der "Brüder Italiens". Will Meloni das nun ändern?
Kompliziertes Wahlgesetz
Das alles muss nun noch nicht bedeuten, dass sich Italien zu einer Diktatur entwickelt, wenn das Rechtsbündnis das Land regiert - aber es zeigt, wie sehr die Demokratie hier in der Krise ist. Der aktuelle Demokratieindex des britischen Magazins "The Economist" sieht Italien als unvollständige Demokratie.
Jedes Land wird anhand fünf verschiedener Faktoren - Wahlprozess und Pluralismus, Funktionsweise der Regierung, Politische Teilhabe, Politische Kultur, Bürgerrechte - eingestuft; Italien liegt auf Platz 31 des Rankings, hinter Botswana und vor den Kapverden.
Es sind unter anderem strukturelle Probleme, die viele Italiener dazu gebracht haben, sich einen starken Mann oder eine starke Frau an der Spitze des Staates zu wünschen: Ein Wahlgesetz, das so kompliziert ist, dass selbst Interessierte es oft nicht bis ins Detail verstehen. Das kleinen und Kleinstparteien erlaubt, durch Listenverbindungen ins Parlament einzuziehen, was zur Zersplitterung führt. Italiens Regierungen bestehen meist aus vielen Parteien. Dass ein Ministerpräsident eine ganze Legislaturperiode übersteht, hat Seltenheitswert. Neuwahlen sind häufig.
Und: Die Italiener haben das Vertrauen in ihre Politiker längst verloren. Die Älteren erinnern sich noch an den großen Korruptionsskandal Anfang der 1990er, der so gut wie alle Parteien betraf und das komplette politische System in Italien zum Umsturz brachte. Silvio Berlusconis Bunga-Bunga-Sexskandal ist europaweit bekannt, aber auch aus den vergangenen Jahren gibt es genug Beispiele von Fehlverhalten, von Korruption unter den italienischen Politikern. Die Politiker seien eine Kaste, heißt es in Italien. Fern vom Volk.
Kaum Vertrauen in die Medien
Auch das Vertrauen in die Medien, die in einer Demokratie die Politik kontrollieren sollen, fehlt: Nur 13 Prozent der Italiener glauben, dass italienische Medien nicht von der Politik beeinflusst werden, so eine aktuelle Studie des Reuters Institute und der University of Oxford. In Deutschland gehen mehr als 40 Prozent der Bürger davon aus, dass ihre Medien frei berichten können.
Dass mit Berlusconi ein Medienmogul in der Politik ist, dem mehrere Fernsehsender und Zeitungen gehören, dürfte die Skepsis in Italien erklären. Dass die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Rai bei jedem Regierungswechsel ihr Führungspersonal austauscht, ebenfalls. Gerade rechte Parteien wie "Fratelli d'Italia" oder die Lega nutzen dieses Misstrauen: Sie sind in sozialen Netzwerken höchst aktiv, bieten angeblich ungefilterte Informationen.
Weil Melonis "Fratelli d'Italia" als einzige größere Partei in der Opposition gegen Mario Draghis Regierung der nationalen Einheit war, konnte sie auch mit Erzählungen wie dieser punkten: Die Regierung Draghi sei höchst undemokratisch, Draghi sei nicht bei einer Parlamentswahl angetreten, sondern von den anderen Parteien ins Amt geklüngelt worden.
Auch bei ihrem Wahlkampfauftakt in Ancona spielt Meloni immer mal wieder auf angeblich volksferne, undemokratische Regierungen in Italien an. Dass der Ministerpräsident in Italien grundsätzlich nicht direkt vom Volk gewählt wird, dass also Draghis Ernennung zum Ministerpräsident völlig legal war - das erwähnt sie vor ihren Anhängern lieber nicht.