Gedenkfeier für Warschauer Ghetto Steinmeiers demonstrative Demut
Vor 80 Jahren begann der Aufstand im Warschauer Ghetto. Bundespräsident Steinmeier gedachte in der polnischen Hauptstadt der Opfer und bekannte sich zur deutschen Verantwortung für die NS-Verbrechen.
Frank-Walter Steinmeier geht langsam zum Redepult. Neben ihm das Denkmal für die Helden des Ghettos: Ausgemergelte, aber kämpferische Gesichter; den Tod vor Augen. Vor Steinmeier hat der Auschwitz-Überlebende Marian Turski gesprochen, die Präsidenten Polens und Israels. Der Bundespräsident weiß, auf welchem Boden er hier steht und dass er unter den Rednern das Land der Täter vertritt - als erstes deutsches Staatsoberhaupt.
Es sei schwer, hier zu sprechen, sagt er - und lässt deshalb einer anderen den Vortritt: "Lebt wohl, Freunde, lebe wohl, jüdisches Volk. Lasst nie wieder eine solche Katastrophe zu", zitiert Steinmeier die Malerin Gela Seksztajn, die im Warschauer Ghetto gefangen war und dort ermordet wurde.
Der Bundespräsident tritt demonstrativ demütig auf. Immer wieder zitiert er Zeugnisse der Jüdinnen und Juden, Tagebucheinträge aus der Hölle des Ghettos:
Mit eisernem Besen fegen die ersten kalten Tage jene fort, die schon jetzt auf der Straße leben, die all ihre Kleidung verkauft haben und schwach wie die Herbstfliegen sind. Vergebens die unglaubliche Lebenskraft der Warschauer Juden.
Kritischer Blick zurück nach Deutschland
"Nie wieder", sagt Steinmeier, dürfe es Rassenwahn, entfesselten Nationalismus und einen brutalen Angriffskrieg geben. "Nie wieder", das sei die zentrale Lehre aus der Geschichte. "Nie wieder", sagt er, auf Polnisch, Hebräisch und Deutsch. Die Bereitschaft der Menschen in Polen und Israel zur Versöhnung nach der Shoah sei ein Geschenk, das die Deutschen nicht hätten erwarten können und dürfen.
Wer in Deutschland kenne heute die Namen Auerbach, Edelmann, Anielewicz, die Namen der Menschen im Ghetto, fragt Steinmeier. Wer wisse eigentlich Bescheid über die Verbrechen, die die Deutschen im besetzen Polen verübten?
Es ist ein kritischer Blick zurück nach Deutschland - einer, den viele Menschen in Polen teilen. "Deshalb ist es mir so wichtig, heute hier bei Ihnen und mit Ihnen zu sein", sagte der Bundespräsident weiter. "Ich bin heute hier, um Ihnen zu sagen: Wir Deutsche wissen um unsere Verantwortung, und wir wissen um den Auftrag, den die Überlebenden und die Toten uns hinterlassen haben. Und wir nehmen ihn an."
Demonstrativer Schulterschluss mit Polen
Aber bei Steinmeiers Staatsbesuch in Polen wird nicht nur über die Vergangenheit gesprochen. Die polnisch-deutschen Beziehungen sind angespannt, der Bundespräsident bekommt auch heute die Forderung nach 1,3 Billionen Euro Reparationszahlungen präsentiert.
In seiner Rede am Denkmal des Ghettos geht er darauf nicht ein, stellt sich aber demonstrativ an die Seite Polens, als er "Nie wieder" auch auf den gegenwärtigen russischen Angriff auf die Ukraine bezieht. "Auch wir Deutsche haben die Lehren aus unserer Geschichte gelernt." "Nie wieder" bedeute, dass es in Europa keinen "verbrecherischen Angriffskrieg" wie den Russlands gegen die Ukraine geben dürfe. "'Nie wieder', das bedeutet: Wir stehen fest an der Seite der Ukraine - gemeinsam mit Polen und mit unseren anderen Bündnispartnern."
Ihr könnt euch auf uns verlassen, das ist die Botschaft des Bundespräsidenten. Andrzej Duda, Polens Präsident, nickt freundlich. Hier, in seinem Land, haben daran immer mehr Menschen Zweifel.