Regierungskrise in London Es wird einsam um Boris Johnson
Der britische Premier Johnson lehnt einen Rücktritt weiterhin ab, obwohl weitere Minister zurückgetreten sind und er auch in der eigenen Partei kaum noch Rückhalt hat. Ein neues Misstrauensvotum wird immer wahrscheinlicher.
Wie denn die Woche so laufe, wollte gestern ein Abgeordneter im sogenannten Liaison Committee wissen. Das ist ein übergeordneter Ausschuss im Unterhaus. Hier wird normalerweise eine breite Palette von Themen besprochen, Ukraine, Asylpolitik, E-Mobilität. Und gestern natürlich auch der Rücktritt Dutzender konservativer Politiker aus der Regierung. Wie denn so die Woche laufe, wollte also ein Abgeordneter wissen. Hervorragend, antwortete Johnson.
Hervorragend, so wie viele andere Wochen auch, so Johnson. Der Hinweis auf viele andere Wochen ist sicherlich angebracht. Partygate, verlorene Nachwahlen, jetzt der Skandal um einen konservativen Abgeordneten, der Männer begrabscht haben soll. Die Wochen von Boris Johnson sind turbulent, so durchzogen von Halbwahrheiten, Skandalen, Täuschungsmanövern, dass es selbst vielen Konservativen nun zu viel wird.
Der britische Premier Boris Johnson ist derzeit mit der größten Krise seiner dreijährigen Amtszeit konfrontiert. Am Dienstagabend waren Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid aus Protest gegen Johnsons Regierungsführung zurückgetreten. Etwa 40 hohe Regierungsbeamte räumten seitdem ihre Posten - zuletzt: der Minister für Sicherheit Damian Hinds, die Minister für Nordirland, Brandon Lewis, und für Wales, Simon Hart. Johnsons einstiger Verbündeter, Wohnungsbauminister Michael Gove, wurde von Johnson am Mittwochabend entlassen, nachdem er zuvor dessen Rücktritt gefordert hatte.
Aufruf zu weiteren Rücktritten
Zuletzt also der Skandal um Chris Pincher. Ihm wird sexuelle Belästigung vorgeworfen. Johnsons wusste dies und hat den Mann trotzdem in ein hohes Parteiamt befördert und das später geleugnet. Deswegen jetzt der Aufstand in der Partei, oder sollte man sagen: Revolte?
Ex-Gesundheitsminister Sajid Javid rief nach seinem Rücktritt die anderen Kabinettsmitglieder im Parlament auf, die Regierung zu verlassen. Er sprach im Unterhaus von Werten, hohen Standards, die im Sinne einer Demokratie eingehalten werden müssen.
Krisentreffen in der Downing Street
Im Verlauf des gestriges Tages kündigten immer mehr Staatssekretäre, Konservative mit Regierungsposition ihren Rücktritt an. Und Johnson? Kein Rücktritt. Sogar am Abend nicht, als einige Minister wieder in der Downing Street zusammenkamen, um den Premier zum Rücktritt zu überreden.
Darunter soll sogar Nadhim Zahawi gewesen sein, der Mann, den Johnson gerade erst als Nachfolger vom zurückgetretenen Rishi Sunak als Finanzminister ernannt hatte. Und Priti Patel, die Frau, die immer loyal war gegenüber Johnson. Ihre Argumentation: Wenn niemand mehr hinter Johnson steht, dann muss er eben zurücktreten.
Johnson bleibt bei seiner harten Linie
Das sah Johnson auch am Abend ganz anders. Kein Rücktritt, er bleibe im Amt, zitierten mehrere Medien aus dem Umfeld des Premiers. Er blieb bei seiner harten Haltung, so wie den ganzen gestrigen Tag auch.
Chris Bryant, Abgeordneter der Labour-Partei, fasste das bei der Befragung im Ausschuss ganz gut zusammen. Chris Pincher habe sich rausgenommen, Männer begrabschen zu können, weil der Premier sich auch vieles herausnehme und damit durchkomme.
Immer wieder Täuschungsmanöver Johnsons
Er wisse nicht genau, was Chris Bryant meine, sagte Johnson. Dem Premier wurde schon in der Partygate-Affäre Führungsversagen in einem Untersuchungsbericht vorgeworfen. Ein Untersuchungsausschuss befasst sich mit der Frage, inwiefern Johnson das Parlament getäuscht und belogen hat.
In einem Interview sagte Johnson, er werde sich nicht einer psychologischen Transformation unterziehen, er werde sich nicht ändern - die Partei, die Menschen sollen ihn so akzeptieren wie er ist.
Weiteres Misstrauensvotum immer wahrscheinlicher
Eine psychologische Transformation sei aber nötig, wenn er im Amt bleiben wolle, sagte der Labour-Abgeordnete Chris Bryant. Dass Johnson seinen Stil, die politische Kultur ändert, daran glauben mittlerweile viele auch in seiner eigenen Partei nicht mehr.
Bleibt er stur und im Amt ist es wahrscheinlich, dass die Fraktion die Regeln ändert und ein weiteres Misstrauensvotum möglich macht. Das könnte schon in der nächsten Woche stattfinden.