Krieg in der Ukraine Kinderkliniken halten dem Druck noch stand
Das Kinderkrankenhaus von Lwiw in der West-Ukraine hat die Lage noch im Griff. Schwere Fälle werden in EU-Nachbarländer weitergeleitet. Bald gebe es aber Probleme mit Medikamenten, warnt der Direktor.
Katja beugt sich über das Kinderbett. Liebevoll streichelt sie Sophia, ihrer schlafenden Tochter, übers Köpfchen. EKG-Elektroden heften an Sophias Brust. Eine Blutdruckmanschette umschließt eines ihrer dünnen Ärmchen. Ein Intubationsschlauch führt über den Mund in ihre Luftröhre. Dabei ist Sophia so klein, dass sie auch in dem Kinderbett noch zu verschwinden scheint. Genau wie Diana, ihre Zwillingsschwester, die im Bett gegenüber liegt.
Ihre 39-jährige Mutter Katja erzählt, Sophia und Diana seien im vergangenen September in Kiew als Frühgeburten zur Welt gekommen - elf Wochen vor dem errechneten Termin. Und sie hatten von Anfang an Lungenprobleme, weshalb sie nach der Geburt in stationärer Dauerbehandlung waren. Das sei gut gelaufen, so Katja. Dann begann Russland, Kiew zu bombardieren.
Von Kiew nach Lwiw
Immer wieder mussten die drei bei Luftalarm in den Schutzraum. Das Medizinerteam in Kiew hat dann vor einigen Tagen dafür gesorgt, dass Katja und ihre Töchter die Stadt verlassen konnten. Zusammen mit anderen Patienten reisten sie in einem medizinisch ausgerüsteten Sonderzug ins west-ukrainische Lwiw. In Sicherheit. Hier kamen Sophia und Diana sofort ins Mutter-Kind-Krankenhaus. Denn die Zeit während der Bombardements im Schutzraum habe ihnen geschadet, sagt Dr. Vira Primakowa, ihre Ärztin in Lwiw, besonders ihr Aufenthalt gleich zu Beginn des Krieges.
"Als die Bombardements begannen, wurden sie in einen Keller verlegt. Sie waren vier Tage lang da unten. Die Babys bekamen eine Virusinfektion. Dianas Lungengewebe ist ohnehin nicht weich, sondern starr. Jegliche Anomalie, insbesondere Viren, Husten, laufende Nase, verschlimmern ihren Zustand", beschreibt die Ärztin.
Innerhalb der ersten sechs Stunden, nachdem sie hier war, wurde Diana an ein künstliches Beatmungsgerät angeschlossen. Sofia kurz darauf. Seitdem werden beide künstlich beatmet. Ihr Zustand ist wirklich schwierig.
Ruhige Lage im Krankenhaus
Abgesehen vom Dauerpiepsen der Monitore, die Puls und Herzschlag anzeigen, ist es ruhig in dem Krankenhaus. Es wirkt nicht überlastet. Ein Eindruck den Direktor Dr. Bohdan Malovanyj, selbst Chirurg, bestätigt. Man arbeite intensiver, "weil ukrainische Flüchtlinge aus aktiven Kriegsgebieten kommen, mit Kindern, die Hilfe brauchen." Er berichtet von 53 Flüchtlingskindern in stationärer Behandlung. Hinzu kommen etwa 30 bis 40 Patienten täglich, um ambulante Hilfe zu erhalten.
Das sind die Kinder, die Lwiw gerade mit dem Zug oder dem Auto erreicht haben, und die wegen ihrer oft langen Reise etwas Hilfe brauchen, und wir bieten sie ihnen an.
Kürzlich hatten die UN Alarm gegeben: Es hieß, dass das Kinderkrankenhaus von Lwiw, die regionale Kinderklinik in der West-Ukraine, überlastet sei, durch die große Zahl verletzter Kinder, die aus umkämpften Regionen eintreffen. So überlastet sei das Krankenhaus, dass die Ärzteschaft farbige Aufkleber verteile: rot und schwarz beispielsweise. Rot heiße, dass sich die Behandelnden sofort um das Kind kümmern müssen; schwarz bedeute, das Kind lebe noch, aber Rettung komme zu spät.
Problem mit Medikamenten wird kommen
Direktor Dr. Bohdan Malovanyj erklärt dagegen kurz und knapp: Ein solches Priorisierungsverfahren gebe es in Lwiw nicht - auch nicht in der Kinderkrebsklinik. Wenn dort schwere Fälle ankommen, werden die sofort weitergeleitet in eines der EU-Nachbarländer. Auf die - unter anderem - verlässt sich auch Kinderkrankenhaus-Direktor Malovanyj. Zumindest wenn es um die Versorgung mit Medikamenten geht:
Bis jetzt gibt es genügend Medikamente, um den Bedarf zu decken. Aber es wird bald ein Problem mit Medikamenten geben, die (in den umkämpften Städten) Kiew und Charkiw hergestellt werden.
Das seien welche, die in der Traumabehandlung, in der Orthopädie oder bei Operationen zum Einsatz kommen. "Aber dank der humanitären Hilfe unserer Freunde in der EU, in Kanada, den USA und Israel wird unser Bedarf gedeckt."
Flugverbotszone könne helfen
Was dem Arzt fehlt, ist eigentlich nur eines: eine Flugverbotszone über der Ukraine: "Denn jedes Mal, wenn es Luftalarm gibt, und der kommt zwei-, drei-, viermal am Tag, müssen wir alle Kinder hier in den Schutzkeller bringen. Es ist sehr schwierig. Die zuständigen Politiker könnten helfen, indem sie eine Flugverbotszone einrichten. Damit wir wenigstens hier in den Krankenhäusern normal arbeiten können."
Eine Flugverbotszone wünscht sich auch Katja, die Mutter von Sophia und Diana. Zärtlich streichelt die dunkelhaarige Frau jetzt Diana über den Kopf:
Ich wünsche mir auch, dass der Himmel geschlossen wird. Obwohl es hier Gott sei Dank keine Schüsse oder Explosionen gibt, wie in Kiew. Aber wenn ich sehe, wie die kleinen Kinder jedes Mal bei Alarm (in den Schutzraum) gebracht werden…
Sie wolle nicht, dass noch andere Kinder Komplikationen bekommen, weil sie in den Keller fliehen müssen. Allerdings hat die NATO mehrfach erklärt, dass sie eine Flugverbotszone über der Ukraine nicht einrichten werde.