Nach Journalistenmord in Slowakei Eine vertane Chance
Der Auftragsmord an dem Journalisten Kuciak und seiner Verlobten erschütterte 2018 die Slowakei und löste Massenproteste aus. Fünf Jahre später ist die Hoffnung auf politischen Wandel verflogen.
Der slowakische Investigativ-Journalist Jan Kuciak war gerade mal 27 Jahre alt, als er am 21. Februar 2018 in seinem Haus in dem Dorf Velka Maca in der Westslowakei zusammen mit seiner Verlobten von einem Auftragskiller erschossen wurde - wegen seiner Arbeit.
Kuciak hatte über ein weit verzweigtes Korruptionsnetzwerk in dem EU-Land recherchiert. Seine Enthüllungen führten nach dem Doppelmord an ihm und seiner Partnerin zu den größten Massenprotesten seit dem Sturz des Kommunismus durch die Samtene Revolution 1989.
Alte politische Elite vor Rückkehr
Die Proteste fegten den linkspopulistischen Premierminister Robert Fico aus dem Amt, für viele war er das Gesicht eines korrumpierten Staates. Mit ihm fielen viele seiner Getreuen in der Politik, der Justiz und der Polizei, verloren ihre Posten.
Doch fünf Jahre danach steht Fico und mit ihm die alte politische Elite vor einer Rückkehr an die Macht. Die neuen politischen Kräfte haben das Vertrauen der Bevölkerung in Rekordzeit verspielt.
Die Medien werden wieder, wie unter der Vorgängerregierung, an den Pranger gestellt. Anti-Korruptions-Ermittlungen laufen ins Leere, gelten häufig als politisch motiviert, teils werden sie eingestellt, auch aus Mangel an Beweisen.
Juristische Aufarbeitung stockt
Auch die juristische Aufarbeitung des Mordes ist noch nicht beendet. Kuciak hatte zuletzt über die italienische Mafia in der Slowakei geschrieben, über die Verbindungen der 'Ndrangheta im Osten des Landes in hohe politische Kreise und über Bestechung und Betrug mit EU-Agrarhilfen.
Schon bald nach seiner Ermordung erhärtete sich der Verdacht, dass der slowakische Geschäftsmann Marian Kocner den Mord beauftragt haben könnte. Er verfügte über gute Kontakte in die Politik und hatte Kuciak wegen eines Artikels über seine Geschäfte zuvor bedroht.
Vor zweieinhalb Jahren aber wurde Kocner überraschend freigesprochen. Der Mordauftrag konnte dem Oligarchen nicht nachgewiesen werden. Der Todesschütze selbst, ein Ex-Soldat, hatte gestanden, ebenso zwei seiner Komplizen.
Der milliardenschwere Unternehmer Kocner wurde allerdings inzwischen wegen ganz anderer Verbrechen verurteilt, zu 19 Jahren Gefängnis. Dabei ging es um Wirtschaftsbetrug.
Das Vertrauen in die Justiz ist erschüttert
Nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wurde der Kuciak-Prozess vor einem Jahr neu aufgerollt. Beobachter wie der Journalist Peter Zatko sprechen immerhin von einem konsequenter geführten Verfahren.
Doch der Freispruch des Geschäftsmannes Kocner habe das Vertrauen in die Gerechtigkeit und die Justiz untergraben, meint die Direktorin der bekannten slowakischen Anti-Korruptions-Stiftung "Zastavme Korupciu", Zuzana Petkova.
Zwar sei auch gegen andere einflussreiche Schlüsselpersonen ermittelt worden, die bis vor fünf Jahren als unantastbar galten, lobt die frühere Investigativ-Journalistin Petkova. Gegen Oligarchen, die Verbindungen zu Parteien hatten, sogar gegen Spitzenvertreter der Politik wie Fico und seinen früheren Innenminister. Dennoch aber seien viele Verfahren eingestellt worden oder liefen ins Leere - dies sei eine "Enttäuschung".
Neue Regierung instrumentalisiert Journalistenmord
Dabei war Igor Matovic, der Chef der stärksten Koalitionspartei, bei den Parlamentswahlen 2020 mit dem Versprechen angetreten, mit Filz, Vetternwirtschaft und Mafiastrukturen zu brechen. Doch er brachte keine Regierungserfahrung mit. Nach zahlreichen Skandalen und internen Machtkämpfen inmitten von Pandemie, Krieg und Energiekrise musste er seinen Posten mit Finanzminister Eduard Heger tauschen.
Seit Dezember ist die Koalition nach einem Misstrauensvotum nur noch geschäftsführend im Amt. Sie kämpft ums politische Überleben und instrumentalisiert den Mord an Kuciak und Kusnirova, indem sie ihre politischen Gegner als "Mafia" bezeichnet.
Kommt die alte Elite zurück?
Die Direktorin der Anti-Korruptions-Stiftung, Petkova, spricht von einer tiefen Krise der Demokratie. Die Slowakei habe die Chance auf Erneuerung vergeudet. Darüber hinaus könnte nach vorgezogenen Neuwahlen im Herbst wieder die alte politische Elite regieren.
In den Umfragen führt eine Abspaltung der Linkspopulisten vor Ex-Premier Fico, der sich in der Opposition radikalisiert hat und sich etwa gegen eine weitere Unterstützung der Ukraine ausspricht.
"Es könnte noch schlimmer werden als vor dem Tod"
Bisher seien slowakische Medien zwar angefeindet worden, sowohl unter der Regierung von Fico als auch unter der aktuellen unter Matovic, erklärt die tschechische Investigativ-Journalistin Pavla Holcova. Sie hätten aber unabhängig arbeiten. Holcova hat an Großprojekten wie den "Panama Papers" mitgewirkt, sie hat mit Jan Kuciak zusammengearbeitet und nach dessen Tod seine Recherchen fortgeführt.
Die Slowakei habe in den vergangenen fünf Jahren einen Kreis beschritten: Am Anfang sei die Hoffnung groß gewesen. Die Gesellschaft habe verstanden, dass sie die Macht hat zu bestimmen, wer regiert. Aber jetzt befürchtet Holcova, könnte es noch schlimmer werden als vor dem Mord. Denn Fico und seine Leute hätten verstanden, welchen Einfluss Journalisten haben.