Steinmeier zu Marzabotto-Massaker "Verantwortung kennt keinen Schlussstrich"
Sie warfen Handgranaten in Häuser, erschossen Frauen und Kinder. Vor 80 Jahren ermordeten SS-Truppen Hunderte von Zivilisten in Italien. Zum Jahrestag gedachte Bundespräsident Steinmeier der Opfer des Marzabotto-Massakers.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat das SS-Massaker in Marzabotto vor 80 Jahren als "das grausamste aller Verbrechen, die deutsche Truppen in Italien während des Zweiten Weltkrieges begangen haben" bezeichnet. An mehr als 100 Orten verübten SS und Wehrmacht Gräueltaten und töteten etwa 770 Zivilisten, darunter mehr als 300 Frauen und über 200 Kinder. "Die SS-Männer mordeten in jenen Tagen im Herbst 1944 wie in einem Blutrausch," sagte Steinmeier.
Sie sperrten die Menschen in Häusern ein und warfen Handgranaten hinein. Brannten Ställe, Wohnhäuser, Kirchen, Kapellen nieder. Sie kannten kein Erbarmen, keine Menschlichkeit, nicht einmal für Frauen, Priester, betagte Männer. Und auch nicht für Kinder, so viele Kinder.
Steinmeier reiste zum 80. Jahrestag des Massakers gemeinsam mit Italiens Staatspräsidenten Sergio Mattarella nach Marzabotto in die Nähe der Stadt Bologna. Viele Menschen säumten die Straßen zur Gedenkveranstaltung, bei der das deutsche Staatsoberhaupt die Gräueltaten "Tage in der Hölle" nannte. Er empfinde nur Trauer und Scham, sagte er in seiner Rede, die er auf Italienisch hielt und die immer wieder vom Applaus der Anwesenden unterbrochen wurde.
"Tiefe Narben"
Steinmeier bat im Namen Deutschlands um Vergebung. Die Opfer und die Nachfahren hätten ein Recht auf Erinnerung. "Die ganze Gegend hier am Monte Sole trägt bis heute tiefe, sichtbare Narben. Und ich weiß: Der Schmerz ist noch größer, weil die meisten Verbrechen nie gesühnt wurden. Das ist die zweite Schuld, die wir Deutschen auf uns geladen haben."
Sich zu erinnern, damit nicht wieder geschehe, was einmal geschah, sei die Verantwortung vor der Geschichte, gerade für Deutsche. "Das ist die Verantwortung vor unserer Geschichte - gerade für uns Deutsche. Und diese Verantwortung kennt keinen Schlussstrich", sagte Steinmeier.
An Mattarella gewandt sagte er: "Unsere beiden Länder wissen, dass die Demokratie, einmal errungen, nie selbstverständlich ist. Wir wissen, dass Freiheit und Demokratie geschützt und verteidigt werden müssen, dass überzogener Nationalismus zu Krieg führt."
Mattarella hob ebenso hervor, dass die Erinnerung Verantwortung nach sich ziehe. Die heutigen Konflikte, so betonte er, erinnern uns daran, dass wir weder blind, noch schlafend, noch vergessend sein dürften. Wie auch andere Kriegsverbrechen belastete Marzabotto lange das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien.
Dankbarkeit für Steinmeiers Besuch
Die Dankbarkeit für Steinmeiers Besuch ist groß. Valter Cardi, der Präsident der Vereinigung der Opfer, sagt, für die Angehörigen sei ein Traum wahr geworden. Zehn Menschen aus Cardis Familie kamen bei dem Massaker ums Leben. "Viele Jahre lang konnte niemand von den Überlebenden von Marzabotto darüber sprechen", sagt er. "Sie wollten alles nur noch vergessen und nicht über das Massaker reden, mein Vater eingeschlossen."
Einheiten von SS und Wehrmacht hatten das Morden als Strafaktion gegen Partisanen der Gruppe "Stella Rossa" (Roter Stern) bezeichnet. Während der deutschen Besatzungszeit in Italien von 1943 bis 1945 gab es Hunderte von Massenerschießungen, insgesamt verloren etwa 70.000 Italienerinnen und Italiener durch direkte oder indirekte Maßnahmen ihr Leben.
Mit Informationen von Elisabeth Pongratz, ARD-Studio Rom