Wolodymyr Selenskyj in Vilnius auf dem Weg zu einer öffentlichen Rede.
analyse

NATO-Gipfel in Vilnius Ein unzufriedener Gast

Stand: 11.07.2023 18:09 Uhr

Für die NATO war der Beschluss zur Ukraine ein heikler Akt. Schon vorher war klar, dass er der Ukraine kaum genügen würde. Das trübt die erwünschte Gipfel-Harmonie in Vilnius.

Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seine Landsleute dürfte die Abschlusserklärung eine Enttäuschung sein. Er machte seinem Unmut schon während seiner Anreise zum Gipfel Luft: Es sei absurd, wenn es nicht mal einen Zeitrahmen gebe, man gleichzeitig vage über Bedingungen spreche, wo es doch gerade mal um eine Einladung gehe. Es sehe so aus, als gebe es weder die Bereitschaft in der NATO die Ukraine einzuladen, noch, sie Mitglied werden zu lassen.

Selenskyj hätte das ahnen können, sogar müssen - dass es in Vilnius weder eine formelle Einladung noch einen Fahrplan geben würde, hatte sich vor dem Gipfel in vielen Äußerungen von Vertretern von NATO-Staaten angedeutet. Doch Selenskyj will den Druck auf die bald - nach dem Beitritt Schwedens - 32 NATO-Mitglieder hoch halten.     

"Man wird auf die Ukraine zugehen, aber nicht mit einer Einladung zur Mitgliedschaft", Gudrun Engel, ARD Washington, zzt. Vilnius, zum möglichen NATO-Beitritt der Ukraine

tagesschau, 11.07.2023 16:00 Uhr

Ringen um eine heikle Formulierung

Seit Wochen hatten die NATO-Unterhändler diskutiert, wie sie die Schlussformulierung des Gipfels aufsetzen, keine formale Einladung aussprechen, aber so tun können, als wäre es eine. Durch die Bank ist die Rede davon, die Ukraine habe ihren Platz in der NATO, sie gehöre dazu, man werde auch einladen, aber nicht heute.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sagte auf dem Gipfel, natürlich rede man über einen Beitritt der Ukraine, aber nach erst mit Blick auf die der Zeit nach dem Krieg und wenn bestimmte Bedingungen erfüllt seien. Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich vage und wich der Frage aus: Es sei für die NATO wichtig, eine gemeinsame Entscheidung zu der Frage zu treffen, wie das, was 2008 in Bukarest entschieden wurde, "auch weiterentwickelt werden kann", sagte er. In Bukarest hatte die NATO der Ukraine eine Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. "Unsicherheit sei Schwäche", antworte Selenskyj und kündigte an, das offen auf dem Gipfel anzusprechen.

Die NATO fürchtet weiterhin, in den Krieg Russlands gegen die Ukraine hineingezogen werden zu können. Kritiker dagegen meinen, Russland sehe die NATO schon schon längst als Kriegspartei.  

Ein Ja mit aber

Ganz so harmonisch wie man sich das in Vilnius vorgestellt hat, wird es also nicht. Am Mittwoch soll Selenskyj am ersten Treffen der NATO-Ukraine-Rates teilnehmen. Dessen Gründung ist ein Akt der politischen Unterstützung, wertet die Beziehungen auf, ist aber lange nicht das, was sich die Ukraine wünscht.

Am späten Dienstagnachmittag hatte NATO-Generalsekretär Stoltenberg verdeutlicht, es werde eine Einladung an die Ukraine geben, Mitglied der NATO zu werden. Da war es also, das erwartete Wort, das auch in der Abschlusserklärung stehen soll. Das "aber" kommt im Text indes direkt danach: "unter bestimmten Bedingungen". Und die Ukraine fragt sich weiter, warum man Bedingungen für eine Einladung braucht.    

Immerhin planen einzelne Länder, darunter auch Deutschland, die weitere Unterstützung der Ukraine. Die Bundesregierung hat deshalb auf dem Gipfel ein 700 Millionen Euro schweres Unterstützungspaket für die ukrainischen Streitkräfte vorbereitet - es umfasst Luftverteidigung, Panzer, Artillerie.

Bundeskanzler Scholz erklärte, es sei wichtig, dass es Sicherheitszusagen für die Ukraine gibt, die nach einem Frieden wirksam sein können. Dazu, kündigte er an, "werden wir jetzt die notwendigen Vereinbarungen treffen".

Die Details müssen noch geklärt werden

Das soll offenbar zusammen mit den G7-Staaten passieren. Wie diese Zusagen genau aussehen, welche weiteren Waffenlieferungen es geben soll, welchen Austausch von Geheimdienstinformationen - dazu haben die Staats- und Regierungschefs in Vilnius noch einiges zu besprechen. 

Die Litauer warten hingegen auf die Läufer aus der Ukraine und wollen den NATO-Beitritt ihres "Bruderstaates". Sie unterstützen die Ukraine - deren Geschichte sei der Geschichte Litauens sehr ähnlich, sagen Passanten.

Die sowjetische Unterdrückung ist tief im Gedächtnis. In fast jedem zweiten Fenster in Vilnius hängt eine ukrainische Fahne.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 11. Juli 2023 um 16:00 Uhr.