Amnesty International zum Tod von Nawalny "Wir fordern eine unabhängige Aufklärung"
Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Duchrow, fordert eine unabhängige Aufklärung des Tods von Kremlkritiker Nawalny. Auf tagesschau24 berichtet sie von seinen unmenschlichen Haftbedingungen.
tagesschau24: Wie überraschend kam die Meldung vom Tod des Kremlkritikers Alexej Nawalny - wenn sie denn stimmt - für Sie?
Julia Duchrow: Der Gesundheitszustand von Nawalny hatte sich ja kontinuierlich verschlechtert. Aber natürlich erreicht uns jetzt diese Nachricht sehr überraschend, und wir sind auch wirklich entsetzt. Man muss aber dazu sagen: Bisher haben wir keine Informationen von den Anwälten oder auch der Familie, dass sie den Tod bestätigen. Die Presse ist in Russland nicht unabhängig und deswegen müssen wir davon ausgehen, dass das ein mutmaßlicher Tod ist. Wir können es jetzt noch nicht endgültig bestätigen.
tagesschau24: Gehen Sie denn davon aus, dass diese Meldung stimmt, oder wie wahrscheinlich ist es, dass man so etwas verbreitet, ohne dass es tatsächlich so ist?
Duchrow: Grundsätzlich sind die Medien nicht unabhängig in Russland. Es gibt auch immer wieder Falschmeldungen. Aus Sicht von Amnesty International ist es eben so: Wir haben uns immer wieder und sehr stark für die Freilassung von Nawalny eingesetzt. Die Verurteilung und auch die Inhaftierung waren unrechtmäßig. Wir haben immer wieder festgestellt, dass er gesundheitlich nicht richtig versorgt wird. Er war sehr viele Monate in Isolationshaft, einer Sonderhaft, die eigentlich auch in Russland nur 15 Tage zulässig ist. Dadurch konnte er keinen Sport machen, war nicht richtig versorgt, auch mit Nahrung. Isolationshaft wird rechtlich auch international als erniedrigende, unmenschliche Behandlung angesehen.
"Trauriges Ergebnis dieser Haftbedingungen"
tagesschau24: Und wenn sich sein Tod bestätigen sollte, was hat dann aus Ihrer Sicht dazu geführt? Also Schwäche durch diese Haftbedingungen? Oder vielleicht sogar ein anderer kalkulierter Auslöser?
Duchrow: Grundsätzlich können wir jetzt nicht spekulieren. Aber Nawalny ist natürlich ein Symbol der Unterdrückung der Zivilgesellschaft durch die russische Regierung. Dieser Giftanschlag ist ja dokumentiert, neben den unmenschlichen Haftbedingungen und der rechtswidrigen Haft. Es ist für uns ein trauriges Ergebnis dieser Haftbedingungen und auch dieses Umgangs der Regierung mit Nawalny.
tagesschau24: Und gehen Sie davon aus, dass man jemals erfahren wird, was wirklich passiert ist?
Duchrow: Wir fordern eine unabhängige Aufklärung. Wir fordern auch, dass die Beteiligten und die Verantwortlichen - auch für den Giftanschlag -, zur Rechenschaft gezogen werden. Wir sind eine Menschenrechtsorganisation und dokumentieren Menschenrechtsverletzungen. Wir glauben einfach daran, dass es möglich ist, am Ende auch die, die verantwortlich sind für solche Menschenrechtsverletzungen, zur Rechenschaft zu ziehen. Und das würde ich in diesem Fall auch so sehen.
"Für Demokratie braucht es eine lebendige Zivilgesellschaft"
tagesschau24: Jetzt stehen in Russland die Präsidentschaftswahlen an. Gehen Sie davon aus, dass das ein Zufall ist, dass Nawalny möglicherweise gerade jetzt gestorben ist?
Duchrow: Wir können aus unseren Quellen bisher den Tod nicht bestätigen. Der mutmaßliche Tod steht im Zusammenhang mit der unrechtmäßigen Inhaftierung von Nawalny. Und grundsätzlich ist das ein Teil des Vorgehens der russischen Regierung, eine Zivilgesellschaft, die andere Meinungen vertritt, die sozusagen kritisch ist, und auch die Opposition zum Schweigen zu bringen. Und der mutmaßliche Tod von Nawalny wäre wirklich ein ganz, ganz schrecklicher Höhepunkt dieser Aktivitäten.
Ich glaube, die Bundesregierung muss einfach weiterhin ihre Aktivitäten bei der Unterstützung der Zivilgesellschaft in Russland fortführen und auch bis hin zu Visa-Erteilung für Aktivisten und Aktivistinnen hier in Deutschland. Für Demokratie braucht es eine lebendige Zivilgesellschaft, die ihre Rechte einfordern kann, und natürlich auch Opposition. All das ist in Russland nicht gegeben.
Das Gespräch führte Kathrin Schlass für tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert.