Polnische Landwirte bei einer Protestaktion in Stettin
Europamagazin

Getreideimporte aus der Ukraine Warum Polens Bauern protestieren

Stand: 15.04.2023 21:03 Uhr

Ukrainisches Getreide, exportiert über Polen nach Afrika - dieser Mechanismus sorgt seit Wochen für Proteste von polnischen Bauern. Jetzt stoppte die Regierung die Importe - aber die Bauern bleiben skeptisch.

Bauer Marcin Furtak steht vor einem großen Berg seines Weizens und ist sauer. Eigentlich sollte seine Lagerhalle jetzt leer sein, der Weizen verkauft. Aber von den 140 Tonnen Ernte aus dem vergangenen Jahr liegen hier noch immer 60 Tonnen, die er entweder gar nicht oder nur zu einem Spottpreis verkaufen kann.

"Ein angemessener Preis wäre bei mindestens 1400 Zloty pro Tonne, momentan liegen die Preise aber bei 750 bis 800 Zloty. Damit kann ich auf keinen Fall meine Kosten decken und Gewinn mache ich schon gar nicht", sagt der 40-Jährige.

Sein Hof im Dorf Kulakowice Drugie im südöstlichen Zipfel Polens steht vor dem Aus, wenn es so weitergeht. 

Polens Bauern protestieren gegen Import von ukrainischem Getreide

Kristin Joachim, ARD Warschau, Europamagazin 12:45 Uhr

Hilfe, die anders funktioniert als geplant

Der Grund für den Preisverfall sind massenhaft günstige Getreideimporte aus der Ukraine. Was eigentlich als Hilfe für das Nachbarland gedacht war, entpuppt sich als Katastrophe für die polnischen Bauern.

Wegen des Kriegs in der Ukraine sind die Exportmöglichkeiten für Getreide über das Schwarze Meer beschränkt, ein Teil muss das Land auf anderen Wegen verlassen. Die EU hat deshalb im vergangenen Jahr einen Solidaritätskorridor eingerichtet, also Zölle für die Einfuhren in die EU abgeschafft, unter der Annahme, dass das Getreide die EU-Länder als Transit durchquert und dann in seinen Zielländern in Afrika landet.

Doch anders als geplant bleibt das Getreide in den osteuropäischen Ländern und vor allem in Polen hängen. Für polnische Landwirte bedeutet das, dass es auf ihrem Absatzmarkt auf einmal ein Überangebot an Mais und anderem Getreide gibt und sie ihre Waren nicht mehr verkauft kriegen - während bei gut 18 Prozent Inflationsrate auch die Preise für Lebensmittel in Polen stetig steigen.

Die Bauern rufen nach Zöllen

Deshalb protestieren Bauern in Polen seit drei Wochen an verschiedenen Orten im ganzen Land. Hier in der Gegend rund um Kulakowice Drugie, direkt an der Grenze zur Ukraine, wollen Marcin Furtak und die Bauern den Grenzübergang für Güterzüge mit ihren Traktoren blockieren.

Ihre Wut richtet sich nicht gegen die Ukrainer, sondern gegen die polnische Regierung und die EU. "Wir wollen Zölle! Und wir wollen, dass die Häfen endlich ausgebaut werden, damit die Waren, die nach Polen kommen, auch wieder rausgehen", sagt Michal Kolodziejczak.

Denn einer der Gründe, warum das ukrainische Getreide im Land bleibt, sind fehlende Kapazitäten in den Häfen etwa von Stettin oder Danzig.

Von hier müsste das ukrainische Getreide eigentlich in die Zielhäfen in Afrika verschifft werden. Doch die Häfen laufen bereits an ihren Kapazitätsgrenzen.

Billig eingekauft, teuer weiterverkauft

Ein weiterer Grund, so schildert es Bauer Kolodziejczak, seien Geschäfte von polnischen Getreidehändlern, die das billigere Getreide aus der Ukraine kaufen und hier in Polen als polnisches Getreide zu einem höheren Preis weiterverkaufen.

Doch das ukrainische Getreide erfüllt oft nicht die EU-Qualitätsstandards, ist mit Pestiziden belastet, die hier in der EU verboten sind.  

Blockaden auch im Nordwesten

Zur gleichen Zeit wie die Bauern im Südosten Polens protestieren andere im Nordwesten, in Stettin. Sie blockieren hier einen Kreisverkehr in der Hafenstadt. Der neue Landwirtschaftsminister Robert Telus ist da und will reden. Er ist gerade erst ins Amt gekommen, nachdem sein Vorgänger Henryk Kowalczyk Anfang April zurückgetreten ist.

Telus betont, dass er selbst Landwirt sei, die Probleme also gut verstehe und verweist auf eine Abmachung, die der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij vergangene Woche bei dessen Besuch in Polen getroffen haben.

Demnach soll ein Großteil der Getreideexporte aus der Ukraine bis Juni vorerst gestoppt werden. Eine entsprechende schriftliche Vereinbarung soll am kommenden Montag unterzeichnet werden. Außerdem soll eine Ermittlerkommission mögliche Betrugsfälle bei der Deklarierung von ukrainischem als polnischem Getreide untersuchen. 

Regierung plant Änderungen

Auf einem Parteitag der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit PiS hat deren Chef Jaroslaw Kaczynski außerdem verkündet, dass die Regierung eine Verordnung beschlossen habe, dass ab sofort ukrainisches Getreide und weitere Lebensmittel nicht mehr über die Grenze nach Polen importiert werden dürften. Mit der ukrainischen Seite werde man Gespräche über die Getreidefrage aufnehmen. Außerdem wolle die Regierung das noch in den Lagern der Bauern liegende Getreide zu einem Mindestpreis von 1400 Zloty pro Tonne abkaufen. 

Doch die polnischen Bauern sind skeptisch. Sie wollen ihren Protest so lange fortsetzen, bis sich ihre Situation merklich verbessert.  

Diese und weitere Reportagen sehen Sie im Europamagazin - am Sonntag um 12.45 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Europamagazin im Ersten am 16. April 2023 um 12:45 Uhr.