Schulunterricht in Polen Pflichtfach Schießtraining
In Polen müssen Schüler seit diesem Schuljahr den Umgang mit einer Schusswaffe lernen - als Vorbereitung auf einen möglichen Verteidigungsfall, sagen Regierungsvertreter. Von Eltern kommt bislang kaum Kritik.
Nikola hat den Zeigefinger am Abzug. Die Nägel schwarz lackiert, ein auffälliger Lidstrich. Etwas unbeholfen hantiert sie mit dem Luftgewehr und versucht, die Zielscheibe zu fokussieren. Der Trainer korrigiert kurz ihre Haltung und geht weiter zum nächsten Schüler auf seinem Schießstand.
Nikola ist 15 Jahre alt und hält zum ersten Mal eine Waffe in der Hand. Ihre ganze Klasse ist gerade beim Schießtraining in einem Lyzeum im polnischen Łódź. Die Stimmung ist gut, auch bei Nikola, die zwar nervös ist, aber Lust hat, etwas Neues auszuprobieren. "Ich bin neugierig", sagt sie und fügt hinzu, dass es gut sei, "in der heutigen Zeit eine solche Möglichkeit zu haben."
Das Schießtraining ist seit diesem Schuljahr Pflicht für alle Schülerinnen und Schüler der 8. und 9. Klassen in Polen. Es ist Teil des Unterrichtsfachs "Sicherheitsausbildung". Hier lernen die Jugendlichen, wie sie in Bedrohungssituationen reagieren sollen, machen einen Erste-Hilfe-Kurs und absolvieren seit September zusätzlich eine einfache Verteidigungsausbildung, zu der auch der Besuch im Schießstand gehört - allerdings nur einmal.
"Man muss sich wehren"
Dass es diese Unterrichtsstunde gibt, liegt an Bildungsminister Przemyslaw Czarnek. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine machte der PiS-Politiker sich dafür stark, dass Jugendliche lernen, eine Waffe zu bedienen. Ähnlich dem Wehrunterricht - den viele Polen aus der Generation der 40-Jährigen heute noch aus eigener Erfahrung kennen. Der Krieg in der Ukraine zeige, so Czarnek, "dass die Geschichte nicht zu Ende ist. Sie wiederholt sich und man muss sich wehren."
Doch die Initiative des Ministers trifft auf scharfe Kritik. So kritisiert der polnische Lehrerverband, dass es weder genug Schießstände noch ausreichend Lehrer für das Fach gebe - und Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Zloty investiert werden müssten. Dabei gäbe es viel dringendere Fragen, sagt der Vorsitzende Sławomir Broniarz: "Dazu gehören das Thema der Gehälter der polnischen Lehrer, die am wenigsten in Europa verdienen, die Ausstattung der Schulen, die miserabel ist, oder Zuschüsse für die steigenden Energiekosten."
Die Pläne der Regierung, jede Schule mit der entsprechenden Menge an Gewehren und Schießanlagen auszustatten, hält er für reines Wunschdenken, das vermutlich nie in die Realität umgesetzt werden kann.
Kein Aufschrei unter Eltern
Kritik kommt auch von Psychologen wie Aleksandra Piotrowska von der Universität Warschau. Denn um Platz für das Schießtraining im Lehrplan zu finden, wurden andere Inhalte gestrichen, die den Schülern psychologische Kompetenzen in Sachen zwischenmenschlicher Kommunikation beigebracht hätten: den Aufbau von Beziehungen und das Aushandeln von Kompromissen.
Dass polnische Schüler stattdessen jetzt Schießen lernen sollen, hält Piotrowska für politische Stimmungsmache: Die Kinder würden jetzt schon das Narrativ der Politiker zitieren, wonach es wichtig sei, sich wehren zu können. Das sei nur der Versuch, "die Kampfstimmung beim Volk anzuheizen". Es sei aber doch unrealistisch, "dass der Krieg darin besteht, dass wir mit unserem kleinen Gewehr herumlaufen, hinter einer Hausecke hervorkommen und auf den Feind schießen".
Unter den polnischen Eltern jedenfalls gibt es bislang keinen Aufschrei. Wohl auch deshalb nicht, weil die meisten selbst in ihrer Schulzeit noch Training an der Waffe hatten. Erst 2012 wurde der Wehrunterricht abgeschafft. Nikolas Mutter Agnieszka, die extra zum Schießtraining mitgekommen ist, findet sogar, dass die einmalige Unterrichtstunde auf dem Schießstand zu wenig ist. Mindestens einmal pro Monat sollte ihrer Meinung nach das Schießen stattfinden, "damit die Kinder wirklich damit umgehen können".