Putin und der Kaukasus Erinnerung an ein Blutbad - mit Blick auf heute
Vor 20 Jahren stürmten russische Einheiten eine Schule in Beslan, in der Terroristen Geiseln genommen hatten. Hunderte starben bei dem Einsatz. Heute versucht Putin den Eindruck zu vermitteln, die Situation im Kaukasus sei stabil.
Kürzlich reiste Russlands Präsident Wladimir Putin durch nördliche Teile des Kaukasus. Das gebirgige Gebiet mit seinen autonomen Teilrepubliken, zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer gelegen, gehört zur Russischen Föderation und damit zu Putins Herrschaftsgebiet.
In Nordossetien wurde Putin freudig empfangen; mit Jubelrufen und Blumen. Ruhig-besinnlich wurde es in der Stadt Beslan. Dort besuchte Putin eine Schule. In ihr waren am 1. September 2004 viele hundert Menschen - Lehrer, Eltern, Kinder - zusammengekommen, um den Beginn des neuen Schuljahres zu feiern. Militante Tschetschenen nahmen das zum Anlass, das Fest zu überfallen. Sie brachten mehr als tausend Menschen in ihre Gewalt. Zwei Tage später, am 3. September, stürmten russische Sicherheitskräfte die Schule und töteten mindestens 331 Geiseln, darunter 186 Kinder.
Putin nutzte den 20. Jahrestag der Geiselnahme von Beslan, um sich zu äußern. Dabei zog er einen Vergleich: Zwischen Beslan vor 20 Jahren und der russischen Region Kursk, in die vor wenigen Wochen ukrainische Einheiten einrückten:
So wie wir früher gegen Terroristen gekämpft haben, so kämpfen wir jetzt gegen die, die in der Region Kursk Verbrechen begehen. Und so wie wir (damals) unsere Ziele im Kampf gegen den Terrorismus erreicht haben, werden wir unsere Ziele im Kampf gegen den Neo-Nazismus erreichen. Wir werden die Kriminellen bestrafen, daran besteht kein Zweifel."
In Beslan legte Putin Blumen auf dem Friedhof bieder. Viele Angehörige fragen noch heute, warum so viele Menschen bei der Geiselbefreiung sterben mussten.
Ein weiter Bogen
Putin machte damit einen sehr breiten Spagat: von regulären ukrainischen Einheiten, die im Verlauf des aktuellen Krieges zwischen der Ukraine und Russland kürzlich auf das Territorium des Angreifers vorrückten, hin zu islamistisch-tschetschenischen Kämpfern, die Geiseln nehmen. Wer nicht dauernd Putins Wortakrobatik ausgesetzt ist, kann das nur schwerlich nachvollziehen.
So oder so: Putin nutzte 20 Jahre später das Blutbad von Beslan, um sich wieder einmal in ein für ihn rechtes Licht zu rücken: Als Kämpfer gegen jede Art von "Terrorismus" warb er für sich und seine Militäroperationen. Und bei denen, die sich ihm verbunden fühlen, kommt diese Rhetorik an.
Vor allem bei denen, die im Kaukasus heute eine gewichtige Stimme haben - zum Beispiel die, die heute über Tschetschenien herrschen; keine Islamisten, sondern Putinisten. In Tschetschenien, wohin Russlands Präsident von Beslan in Nordossetien aus weiterreiste, hat Ramsan Kadyrow das Sagen.
Putin begrüßte Kadyrow mit einer Umarmung. Kadyrow seinerseits freute sich sichtlich über den Besuch; sprach mit Putin als Gleicher zu Gleichem, von Präsident zu Präsident und - wie er sagte - von Infanterist zu Infanterist.
Treu ergeben
Dabei ist Kadyrow weniger Präsident- und Waffenbruder, als vor allem Ziehsohn: Putin machte Kadyrow 2007 zum Präsidenten der Teilrepublik Tschetschenien - zwei Jahre vor dem offiziellen Ende des Zweiten Tschetschenien-Krieges. In dem hatten, vereinfacht gesagt, von 1999 an Separatisten für die Unabhängigkeit ihrer Region von Russland gekämpft.
Dass Putin ihn dann 2007 zum Herrscher machte, dankt Kadyrow ihm bis heute: Er ist ein glühender Verfechter von Putins Krieg in der Ukraine und schickte dafür nach eigenen Angaben mehr als 20.000 Kämpfer; Mitglieder der "Kadyrowzy" und der "Ahmat"; Kämpfer, die offiziell zur russischen Nationalgarde gehören beziehungsweise vertraglich an das Verteidigungsministerium in Moskau gebunden sind.
Kadyrow, der unter seinen Gegnern den Beinamen "Bluthund Putins" trägt, hat nach seinem Herrn und Meister sogar - zur Ausbildung von Spezialeinheiten - eine Akademie benannt. Eben der stattete der Geschmeichelte gerne einen Besuch ab. Er ließ sich die Waffen zeigen, mit denen "seine" tschetschenischen Männer kämpfen.
Treuebekenntnisse in Grosny
Kommandeur der Ahmat-Einheit, die heute auch in Kursk im Einsatz sein soll, ist Apty Alaudinow. Der Tschetschene steht Putin in nichts nach, wenn er die Rückeroberung von Kursk, aber auch den Sieg über die ukrainische Armee überhaupt ankündigt: "Der Sieg in der Sonderoperation ist uns auf jeden Fall garantiert. Das ist nur noch eine Frage der nächsten Monate. Das heißt, bis Ende dieses Jahres wird das abgeschlossen."
Damit wollte es Kadyrow nicht bewenden lassen. Er versprach, die nächste Gruppe Freiwilliger werde schon bald in den Kampfeinsatz aufbrechen.
Nach dem ukrainischen Vormarsch in die russische Region Kursk kann Putin Meldungen über Kämpfer, die freiwillig für ihn an die Front gehen, gut gebrauchen. Kadyrow selbst soll derweil dem Tode geweiht, schwer krank sein. Das melden immer wieder oppositionelle russischsprachige Medien.
Es bleibt unruhig im Kaukasus
Der Besuch, den Putin ihm und Tschetschenien abstattete, hatte gleichwohl noch einen anderen Grund, als sich in Pose zu setzen: Putin will, dass es im Kaukasus ruhig bleibt. Die multi-ethnische Region, in der der Islam die vorherrschende Religion ist, war immer - und blieb es bis jetzt - ein Unruheherd. Viele militante Islamisten, die heute im Nahen Osten und in Russland ihr Unwesen treiben, stammen aus dem Kaukasus.
Und während seiner gesamten Herrschaftszeit setzten die regionalen separatistischen Führer des Kaukasus Putin und seinem System zu, stellten seinen Imperialismus infrage.
Muslimische Gegner Putins radikalisierten sich. Von Beslan vor zwanzig Jahren bis zum Anschlag auf die Crocus City Hall nahe Moskau vergangenen März - die Attentäter stammten zwar aus Tadschikistan, gerieten mutmaßlich aber unter den Einfluss von geistlichen kaukasischen Brandstiftern.
Keine langfristigen Perspektiven
Mit seiner Reise nach Nordossetien und Tschetschenien demonstrierte Putin seinen fortwährenden Kampf gegen - aus seiner Sicht - alle Arten von Terrorismus. Zugleich wollte er demonstrieren, dass ihm die Menschen wohlgesonnen sind, trotz aller Härten.
Allerdings ist die wirtschaftliche Situation im Kaukasus schwierig. Zwar gehören die Republiken zu den Gebieten, die Moskau besonders stark subventioniert. Gleichzeitig ist die Arbeitslosenquote nach wie vor hoch.
Langfristige Perspektiven haben Putin und seine Mitstreiter also nicht geschaffen. Und so blieb seine Kaukasus-Reise zwanzig Jahre nach Beslan eher symbolisch.