Überschwemmungen in Russland "Uns erreichen immer noch Hilferufe"
Noch immer stehen in Russland an der Grenze zu Kasachstan ganze Orte unter Wasser. Die Natur sei schuld, sagen die meisten. Kritische Stimmen verweisen aber auch auf Mängel an den Dämmen.
Über Megafone fordert der Katastrophenschutz dazu auf, die gefährdeten Gebiete zu räumen. Bilder des russischen Staatsfernsehens zeigen Häuser, von denen nur noch die Dächer zu sehen sind, und Menschen, die bis zum Bauch im Wasser stehen oder auf Straßen unterwegs sind - statt in Autos in Booten. "Ich wollte nicht gehen", sagt eine Anwohnerin. "Ich dachte, ich wäre zu alt und würde nicht gehen. Aber sie haben mich überzeugt."
Mehr als 100.000 Menschen müssen ihr Zuhause räumen. Sie verbringen die Zeit jetzt in Notunterkünften oder bei Verwandten oder Bekannten in nicht-gefährdeten Gebieten. Behörden teilten mit, dass Siedlungen im Uralgebirge, in Sibirien und im Nordwesten Kasachstans betroffen sind.
Noch immer Notrufe
Noch steigt in Orenburg, einer Stadt mit rund 550.000 Einwohnern, das Wasser des Ural, des drittlängsten Flusses Europas - mit einer Geschwindigkeit von bis zu 70 Zentimetern in 24 Stunden. Zuletzt lag der Pegelstand bei zehn Metern. Insgesamt wurden 7.700 Menschen in Sicherheit gebracht. Und noch immer gebe es Notrufe, sagte Sergej Salmin, Bürgermeister der Stadt Orenburg dem Sender Rossiya:
Uns erreichen immer noch Hilferufe. Im Moment liegen uns keine genauen Zahlen vor; sie werden buchstäblich alle fünf bis zehn Minuten angepasst. Aber wir erhalten immer noch Rufe mit Bitte um Hilfe. Daher sind jetzt alle Retter draußen mit ihrer Ausrüstung.
Am schlimmsten traf es die Stadt Orsk. Mehr als 6.700 Häuser wurden dort vom Wasser des Ural eingeschlossen. Aber hier sinkt der Pegel inzwischen langsam wieder.
Dammbrüche am Ural
Grund für die Überflutungen sind starke Regenfälle zeitgleich zu einer recht schnellen Schmelze von großen Schneemengen. Und am Ural brachen Staudämme, zwei nahe der Stadt Orsk.
Eine strafrechtliche Untersuchung wurde eingeleitet zu mutmaßlichen Bauverstößen, die zu den Dammbrüchen geführt haben könnten. Denn im vergangenen Monat seien - so heißt es - örtliche Behörden auf Mängel hingewiesen worden, die Beamte aber ignoriert hätten.
Vorerst lehnt Kremlsprecher Dimitrij Peskow jedoch Schuldzuweisungen ab. "Es ist momentan nicht an der Zeit, Noten zu verteilen", sagt er. "Irgendwo hat das Hochwasser vielleicht noch nicht seinen Höhepunkt erreicht, und die Situation entwickelt sich weiter. Deshalb ist die Zeit jetzt noch nicht passend."
Instandhaltung nicht ausreichend finanziert?
In der Zeitung Iswestija klingt an, dass Korruption möglicherweise zur Vernachlässigung der Dämme am Ural geführt hat. Und dass ihre Instandhaltung nicht ausreichend finanziert worden sei. Wörtlich heißt es in dem Artikel: "Die Ausgaben für den Betrieb des Dammes wurden in den letzten Jahren reduziert - von 2,7 Millionen Rubel auf 1,6 Millionen."
Auch Julia Nawalnaya, Witwe des kürzlich unter ungeklärten Umständen verstorbenen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny, äußerte sich aus dem Ausland. Sie schrieb in einem Kurznachrichtendienst: "Die Behörden in unserem Land sind erstaunlicherweise nie auf irgendetwas vorbereitet: Im Winter nicht auf Frost und Schneefall, im Sommer nicht auf Brände und im Frühjahr nicht auf Überschwemmungen."
Daraus lässt sich Kritik an mangelnder Investition in Infrastruktur lesen. Aber selbst Nawalnaya bringt das nicht offen in Zusammenhang damit, dass das russische Geld stattdessen in den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fließt.