Dieses vom amtierenden Gouverneur der Region Kursk, Alexej Smirnow, über seinen Telegrammkanal veröffentlichtes Foto zeigt ein beschädigtes Haus in Kursk nach Beschuss.

Angriff mit Hunderten Soldaten Ukraine dringt in russisches Grenzgebiet Kursk vor

Stand: 07.08.2024 19:19 Uhr

Erst hieß es aus Moskau, ein ukrainischer Angriff sei abgewehrt worden - nun bestätigte Russland Kämpfe im russischen Grenzgebiet Kursk. Demnach konnten dort Hunderte ukrainische Soldaten vordringen. Was steckt dahinter?

Der russische Präsident Wladimir Putin musste die Tagesordnung einer länger geplanten Regierungssitzung spontan umwerfen - um, wie er es ausdrückte, "über die Ereignisse in der Region Kursk zu reden".

"Wie Sie wissen, hat das Kiewer Regime eine weitere groß angelegte Provokation unternommen und wahllos mit verschiedenen Waffensystemen, darunter Raketen, auf Zivilgebäude, Wohngebäude und Krankenwagen geschossen", so der Kremlchef. "Unmittelbar nach unserem Treffen folgt eines mit den Leitern der Sicherheitsbehörden, des Verteidigungsministeriums, des Generalstabs, und den Grenzschützern des FSB."

 

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Widersprüchliche Angaben

Unabhängige Beobachter haben keinen Zugang in das Sperrgebiet an der ukrainisch-russischen Grenze, etwa 600 Kilometer südwestlich von Moskau. Und die offiziellen Meldungen sind widersprüchlich: Am Dienstagabend hieß es vom russischen Verteidigungsministerium, der Angriff von etwa 300 Kämpfern mit Panzern und gepanzerten Fahrzeugen sei durch Artillerie, Luft- und Drohnenangriffe erfolgreich zurückgeschlagen worden.

Später wurde diese Meldung korrigiert - die Angriffe würden weiterhin abgewehrt. Am Mittwochmorgen gab es Raketenalarm und der amtierende Gouverneur des Gebiets Kursk bestätigte Evakuierungen aus den Grenzdörfern. "Über Nacht wurden in der gesamten Region neue provisorische Unterbringungszentren mit über 2.500 Plätzen eingerichtet", sagte er. "Die Menschen werden dort mit Wasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten versorgt." Außerdem rief Interims-Gouverneur Alexej Smirnow zu Blutspenden auf. Fünf Zivilisten sollen gestorben sein, 28 verletzt.

Karte der Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete

Karte der Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete

Offizielle Zahlen zu verwundeten oder gefallenen russischen Militärs gibt es bislang nicht. Der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow gab die Zahl der ukrainischen Soldaten in dem Gebiet aber inzwischen mit bis zu 1.000 an. Mindestens 100 von ihnen seien getötet und 215 verletzt worden, sagte er bei einer vom Kreml im Nachrichtenkanal Telegram übertragenen Videoschalte mit Putin.

Nicht überprüfbare Berichte von Militärbloggern

Russland führt seit zweieinhalb Jahren einen nicht formal erklärten Krieg in der benachbarten Ukraine, hat etwa ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebietes besetzt. Im Verlauf dieses Krieges hat es bereits vereinzelte Angriffe von ukrainischem Territorium auf russisches Staatsgebiet gegeben. Die Verantwortung übernahmen dabei Freiwilligen-Bataillone, bestehend aus russischen Staatsbürgern. Bislang aber haben sich weder das "Russische Freiwilligenkorps" noch die "Legion Freiheit Russlands" zu den Angriffen auf Grenzdörfer im Gebiet Kursk bekannt.

Russland hat bei Kriegsbeginn massive Zensurgesetze erlassen und seither viele unabhängige Medien verboten. So erfährt die Öffentlichkeit Neuigkeiten über die Kämpfe im Gebiet Kursk entweder aus staatlichen Quellen - oder von russischen Militärbloggern.

Deren Informationen sind nicht unabhängig überprüfbar und teilweise widersprüchlich. Mehrere russische Militärblogger berichteten, ukrainische  Einheiten seien zehn bis 15 Kilometer auf russisches Gebiet vorgestoßen. Elf kleine Ortschaften sollen sie vorübergehend besetzt haben. Zudem - ebenfalls nicht überprüfbar - sollen auf ukrainischer Seite weitere Einheiten zusammengezogen worden sein. Ein Militärblogger spricht von 2.000 ukrainischen Soldaten, die Kämpfe könnten noch Tage andauern.

Keine Stellungnahme aus Kiew

Ein mögliches Ziel könnte die Kleinstadt Sudscha sein. Hier befindet sich die letzte russische Messstation für die Durchleitung von Erdgas über die Ukraine nach Westeuropa. Oder soll - so heute eine Sprecherin des russischen Außenministeriums - mit dem "barbarischen Angriff vom Versagen der ukrainischen Armee abgelenkt" und Panik in Russland geschürt werden? Versucht die Ukraine - wie wiederum russische Militärblogger vermuten -, durch den Angriff russische Kräfte zu binden? 

Vorerst offene Fragen. Während die Kämpfe im Gebiet Kursk weiter andauern, hat es aus der Ukraine bislang überhaupt keine offizielle Stellungnahme gegeben.

 

ARD Moskau, tagesschau, 07.08.2024 17:47 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 07. August 2024 um 19:05 Uhr.