Hochwasser in Russland Fluten spülen radioaktive Stoffe aus stillgelegten Minen
In der russischen Hochwasser-Region Kurgan droht eine neue Katastrophe: Die Fluten haben stillgelegte Uran-Minen überschwemmt und spülen radioaktive Stoffe in den Fluss Tobol, aus dem auch Trinkwasser gewonnen wird.
In der dramatischen Frühjahrsflut droht südöstlich des Ural eine weitere, eine unsichtbare Gefahr - im Gebiet Kurgan, etwa 1.700 Kilometer östlich von Moskau. Atomphysiker Andrej Oscharowskij von der NGO "Sozial-Ökologische Union" schaut besorgt auf frei zugängliche Flutaufnahmen aus der Region.
"Ich habe mit Einheimischen gesprochen. Die sagen, dass das Wasser dort ungefähr eineinhalb Meter hoch steht", erzählt er. Satellitenbilder würden das bestätigen. Gemeint sei nicht das Dorf auf den Aufnahmen - das liege auf einem Hügel. Oscharowskij deutet auf das umliegende Tiefland. "Dort befinden sich Brunnen. Brunnen eines Testbergbaus, der zu Sowjetzeiten irgendwann Mitte der 1980er Jahre angelegt wurde."
Uran mit Schwefelsäure aus Gestein gelöst
Oscharowskij meint damit Bohrungen für den unterirdischen Uran-Abbau. Hunderte dieser Bohrungen gibt es im Gebiet Kurgan. Viele wurden versiegelt, andere aber rotten und rosten vor sich hin. Sie sind nun teilweise überflutet.
Die besondere Gefahr liegt in einer Abbaumethode des Urans, die man vielleicht äußerst wohlwollend als extrem kurzsichtig bezeichnen könnte. "Anstatt das Uran-Erz aus einer Tiefe von 400 Metern zu fördern und dann das Uran chemisch zu extrahieren, wurde dieser zweite Teil in den Untergrund verlagert", erklärt Oscharowskij. Das sei billiger gewesen, aber auch viel gefährlicher für die Umwelt. "Unterirdische Bohrungsauslaugung heißt das." Verdünnte Schwefelsäure werde ins Erz gepumpt, die Säure löse dort alles auf und wandle Uran in eine lösliche Form.
Uran-Salze sind hochgiftig und radioaktiv
"Die Idee ist zwar nicht, einen unterirdischen See aus Uran-Lösung zu produzieren, sondern diese Uran-Lösung dann hochzupumpen und das Uran herauszufiltern", sagt der Atomphysiker. Reste des giftigen, strahlenden Schlamms blieben unter Tage - im besten Fall.
"Vor ein paar Jahren habe ich diese alten Bohrlöcher untersucht, die laut Berichten stillgelegt wurden", sagt Experte Oscharowskij. Auch an einem absolut trockenen Tag würde Wasser heraussickern - und eben nicht nur das. "Denn es kam ja aus einem einstigen Testbergbau, in dem Uran mit Säure gelöst wurde. Und mit meinen Messgeräten fand ich Stellen mit Verseuchungen rund um jedes Bohrloch, das ich dort finden konnte."
Der jetzt über die Ufer getretene Fluss Tobol, der auch Bohrlöcher überflutete, ist auch eine Trinkwasserquelle für die 100 Kilometer entfernte Großstadt Kurgan mit ihren gut 300.000 Einwohnern. Und die Uran-Salze sind nicht nur hochgiftig, sondern auch radioaktiv, warnt Oscharowskij: "Jetzt sind diese Tieflandfelder, in denen in den 1980er-Jahren Uran abgebaut wurde, überflutet. Unweigerlich gelangt Uran in den Fluss." Zwar würde dadurch das Uran erheblich verdünnt werden, gelange aber trotzdem ins Trinkwasser.
Rosatom wiegelt Bedenken ab
"Es gibt die sogenannte Kollektivdosis, wenn eine große Anzahl von Menschen quasi kleinen Mengen radioaktiver Belastung ausgesetzt wird", erklärt der Experte. Einige von ihnen, die Uran mit dem Trinkwasser aufnähmen, seien dann innerer Strahlung ausgesetzt, die viel gefährlicher sei als äußerliche Strahlung. "Niemand sagt, dass jeder, der Wasser mit einer niedrigen Uran-Konzentration trinkt, krank wird und stirbt. Aber wenn 10.000 Menschen dieses Wasser trinken, dann können mehrere Dutzend von ihnen gesundheitliche Probleme bekommen."
Umweltschützer warnten in der Vergangenheit immer wieder vor dem Uran-Abbau und seinen Folgen. Die russische Atomenergieagentur Rosatom wies das bereits zurück als "Radiophobie" - also Strahlenfeindlichkeit - gepaart mit Unwissen. Und ihre neuen Uran-Abbauanlagen? Die lägen alle oberhalb des Hochwasserpegels.