Wagner-Truppe setzt Rückzug fort Zurück zum Alltag?
Nach dem abrupten Ende ihres Aufstands setzen die Wagner-Söldner ihren Rückzug fort. Lipezk haben sie bereits verlassen, in Woronesch verläuft der Abzug laut dem Gouverneur ohne Zwischenfälle. Rund um Moskau gelten noch Sicherheitsmaßnahmen.
Nach dem Ende des Aufstands der Wagner-Truppe haben sich die Einheiten nach Behördenangaben aus den betroffenen Regionen wieder zurückgezogen. Dort versucht man langsam wieder zur Normalität zurückzukehren.
Wie etwa in Woronesch - etwa 500 Kilometer südlich von Moskau. Der dortige Regionalgouverneur Alexander Gussew berichtet vom Rückzug der Wagner-Truppe. "Die Einheiten der paramilitärischen Gruppe Wagner schließen ihren Rückzug in der Region Woronesch ab", erklärte er im Onlinedienst Telegram. Alles verlaufe "normal und ohne Zwischenfälle". Sobald sich die Situation endgültig geklärt habe, wolle man alle bislang geltenden Beschränkungen für die Zivilbevölkerung aufheben.
Die an die Ukraine grenzende Region Woronesch war ein Ziel des später überraschend beendeten Aufstands der Wagner-Gruppe. Über die Vorfälle in Woronesch am Samstag ist wenig bekannt. Das russische Militär war in der Region im Einsatz, die Armee hatte "Kampfhandlungen" gemeldet. Während des Aufstands geriet ein Treibstofflager aus bislang ungeklärter Ursache in Brand. Der Brand konnte nach örtlichen Angaben erst in der Nacht gelöscht werden.
Offenbar ruhige Lage in Rostow
Die Wagner-Kämpfer hatten sich noch am Samstagabend bereits aus der Stadt Rostow im Südwesten Russlands zurückgezogen. Videoaufnahmen der Nachrichtenagentur AP in Rostow zeigten, wie die Menschen den Wagner-Söldnern beim Abmarsch zujubeln. Einige liefen auf Prigoschin in einem Geländewagen zu, um ihm die Hand zu schütteln. Der Gouverneur der Region sagte später, dass alle Söldner die Stadt verlassen hätten.
In Rostow war es am Sonntagmorgen nach dem Abzug der Söldner ruhig, wie die russische staatliche Nachrichtenagentur RIA berichtete. Auf deren Video via Telegram kehrte ein Mann die Straße und Autos fuhren durch die Stadt. Am Samstag hatten Bilder der Wagner-Truppe in Kampfpanzern an verschiedenen Stellen der Stadt die Szene beherrscht. Im Laufe des Samstags drangen die Söldner auch bis in die russische Region Lipezk rund 400 Kilometer südlich von Moskau vor. Auch von dort zogen sie sich laut Regionalverwaltung zurück. Gouverneur Igor Artamonow verkündete im Nachrichtenkanal Telegram, die Wagner-Kämpfer hätten sein Verwaltungsgebiet verlassen.
Moskau hält an Maßnahmen fest
In Moskau und Umgebung bleiben die "Anti-Terror-Maßnahmen" vorerst bestehen - auch die Verkehrsbeschränkungen auf der Autobahn Richtung Rostow am Don. Wie eine AFP-Reporterin beobachtete, waren weiterhin große Polizeipatrouillen an einer Hauptstraße von Moskau Richtung Süden im Einsatz. Die Sicherheitsbehörden hatten am Samstag verstärkte Maßnahmen in Moskau, der Region Moskau und der Region Woronesch an der Grenze zur Ukraine angeordnet. Der Bürgermeister von Moskau, Sergej Sobjanin, hatte den Montag angesichts der schwierigen Situation zum arbeitsfreien Tag erklärt.
In Moskau gibt es allerdings kaum Hinweise auf die "Anti-Terror-Warnung", die mit Beginn des Aufstands herausgegeben wurde und auch nach der Einigung nominell in Kraft blieb. In der Stadt fühle es sich an, "als wäre nichts gewesen", berichtete ARD-Korrespondentin Ina Ruck. "Der Verkehr läuft ganz normal, die Menschen gehen spazieren." Man merke nichts und habe auch gestern wenig gemerkt. Laut Ruck war etwas mehr Polizei auf den Straßen, aber von den "Anti-Terror-Maßnahmen" sei außer an den Ausfahrten der Stadt nicht viel zu spüren gewesen. Es fühle sich an, "als sei da so ein Spuk gewesen und nun ist das alles wieder vorbei", so Ruck. "Man tut so, als wäre alles ganz normal - aber normal ist hier im Moment natürlich gar nichts."
Angeblich russische Hubschrauber abgeschossen
Laut der Nachrichtenagentur dpa behaupten mehrere russische Militärblogger, dass während des Aufstands der Wagner-Gruppe mehrere russische Soldaten getötet worden sein sollen. Die Angaben reichen von 13 bis 20 Toten. Demnach wurden mehrere Hubschrauber und ein bemanntes Aufklärungsflugzeug von Wagner-Kämpfern abgeschossen. Von den russischen Behörden gab es dafür keine Bestätigung.
Machtkampf war eskaliert
Am Freitagabend und Samstag war der Machtkampf zwischen dem Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, und der russischen Militärführung eskaliert. Wagner-Kämpfer marschierten von der Ukraine aus mit dem Ziel nach Russland ein, die Militärführung in Moskau zu stürzen und nahmen in Rostow das südrussische Armee-Hauptquartier ein.
Am Samstagabend meldete Prigoschin auf Vermittlung des belarusischen Machthabers Alexander Lukaschenko dann überraschend eine Kehrtwende und kündigte den Rückzug seiner Kämpfer an. Im Gegenzug für die Beendigung ihres Aufstands werden Prigoschin und seine Kämpfer nach Angaben des Kreml nicht strafrechtlich verfolgt. Prigoschin selbst soll nach Belarus ausreisen.
Monatelange Kritik von Prigoschin an Schoigu
Prigoschin hatte monatelang die Militärführung um Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow scharf kritisiert und ihr Unfähigkeit vorgeworfen. Am Freitag beschuldigte er Schoigu, die Wagner-Söldner aus der Luft angegriffen und dabei viele Kämpfer getötet zu haben. Er stellte sich zudem offen gegen Putin. Prigoschin forderte auch die Absetzung von Schoigu und Gerassimow.
Der Machtkampf eskalierte während einer womöglich entscheidenden Phase des Kriegs in der Ukraine. Die ukrainische Armee hatte vor Kurzem ihre lange erwartete Offensive zur Rückeroberung russisch besetzter Gebiete begonnen.
Mit Informationen von Stephan Laack, ARD-Studio Moskau